Avetik (#) von Don Askarjan. Armenien/BRD, 1990-92. Alik Assatrian, Mikhael Stepanian, Karen Ganibekian, Eduard Saribekian, Samuel Ovasapian, Geno Lechner

   Jaja, die Russen (im weitesten Sinne) im Exil: Da hocken sie irgendwo in der Welt herum und träumen von nichts anderem, als von der Heimat. Da können sie zwar nicht mehr leben, aber woanders auch nicht. Dilemma nennt man das wahrscheinlich. Askarjans Film erinnert mich in vielen an Tarkowski, der ja seine letzten beiden Filme auch im Exil gedreht und ebenso sichtlich gelitten hat. Auch der Armenier lädt seine intensiven Bildmeditationen mit Symbolen und komplexen Assoziationen und Verweisen auf, mixt Mythen, Mystik, Heimatgeschichte und persönliche Biographie zu einem optischen Geflecht, das zwar oberflächlich genossen werden, zum besseren Verständnis aber eigentlich eher dechiffriert werden muss. Dabei kann man sich an eine grob nachvollziehbare Rahmenhandlung klammern: Ein Armenier lebt in Berlin und wird von einer jungen Frau, einer Journalistin vielleicht, zu der Heimat befragt. Seine ganze Umwelt, die Wohnung, die Berliner Straßen und Hinterhöfe, bevölkern sich in seinem Kopf mit Motiven und Menschen aus Armenien, die Bäumen, einem König, Kunstbildern und dergleichen. Askarjan verdeutlicht, wie das ist, wenn man im Grunde gar nicht dort lebt, wo man sich aufhält, sondern immer in der Vergangenheit, in Träumen und Erinnerungen. Und die gestalten sich äußerst suggestiv, im Vergleich zu dem spirituellen Asketen Tarkowski vielleicht eher archaisch und sinnlich. Szenen aus der Kindheit, die ersten Kontakte mit dem Film (Kurosawas „Schloss im Spinnwebewald“) und mit der Erotik, armenische Märchenmotive und immer wieder stark apokalyptische, sehr bedrohliche Momente. Ein Krieg, Soldaten in Schutzanzügen wie nach Gasangriffen, Bilder des verheerenden Erdbebens, Erinnerungen an den schrecklichen Völkermord durch die Türken, im Eis bizarr erfrorene Schafherden und dergleichen. Bilder, die sich nicht zu jeder Zeit konkret zuordnen lassen, die jedoch ein starkes, eindrucksvolles Gefühl vermitteln, zum einen wehmütige Reminiszenzen, zum anderen schlimme Zerstörungen, alptraumhafte Auflösung aller Dinge. Oft schweben die Dinge in Zeitlupe durchs Bild, vermischen sich Symbole aus verschiedenen Bereichen (Erotik, Natur, Krieg), baut Askarjan eine derart persönliche Welt auf, dass man ihm nicht dorthin folgen kann, und ich mich zwischendurch auch mal fragte, ob er dies überhaupt gewollt hat. Wie auch Tarkowski scheint er seine Kunst zu einem großen Teil als persönliches Verarbeitungsmedium zu verstehen. Zwar will er sich den Zuschauern irgendwie mitteilen, doch zeigt er sich kaum daran interessiert, Anleitungen, Erklärungen, Hilfestellung jeder Art anzubieten. Man kann sich das ansehen, sich seine Gedanken machen, vielleicht selbst im Kopf Assoziationen freimachen, doch zu einer wirklichen Kommunikation mit dem Herrn Künstler wird es wohl für die wenigsten reichen, es sei denn, man ist vielleicht selbst Armenier oder lebt allgemeiner im Exil und kann die Gefühle Askarjans wenigstens auf abstrakter Ebene nachvollziehen. Die enorme Schönheit und Ausdruckskraft der Bilder fasziniert, macht sie aber letztlich kaum weniger unzugänglich. Vielleicht mag es mancher Kinogänger ärgerlich finden, wenn er solch introvertierte, fast exorzistische Kunst vorgesetzt bekommt, ich fände dies sogar verständlich. Für meinen Teil war ich schon sehr angetan von der poetischen, vielschichtigen Gestaltung, aber ob dieser Film nun wer weiß wie lange in mir nachklingen wird, dessen bin ich mir nun auch nicht so sicher. Wie im Falle Tarkowskis bedürfte es hier vermutlich eines ganzen Seminars, um sich in die Bilder-, Symbol- und Gedankenwelt Askarjans einzuarbeiten. (23.2.)