Before sunrise (#) von Richard Linklater. USA/Österreich, 1994. Ethan Hawke, Julie Delpy
Die Geschichte ist so toll, weil sie so schön einfach ist: Ein Junge und ein Mädchen lernen sich im Zug kennen, er überredet sie, mit in Wien auszusteigen, sie verbringen einen Abend und eine Nacht dort, reden, flirten, lieben sich, um dann am nächsten Morgen auf dem Bahnhof wieder auseinander zu gehen. Die Art von Romanze, die sich jeder vielleicht schon mal erträumt hat, absolut und intensiv, gerade weil sie so kurz ist, unvergesslich und irgendwie auch folgenlos. Die etwas halbherzige Konzession an ein mögliches Happy End hätte man sich schenken können: Jesse und Céline verabreden sich in genau einem halben Jahr wieder an diesem Bahnsteig, wollen sich entgegen eines zuvor getanen Schwurs doch wiedersehen. Mir hätte es irgendwie besser gefallen, wenn die beiden tatsächlich für immer auseinander gegangen wären, aber jeder hat halt so seine private Vorstellung von Romantik.
Die erste dreiviertel Stunde kam mir etwas holprig vor. Vor allem Ethan Hawke erinnerte mit seinen fahrigen und betont auf „natürlich“ getrimmten Gesten und mimischen Verrenkungen an all jene amerikanischen Darsteller, deren Masche man sich mit der Zeit leidgesehen hat. Das einzig Authentische daran ist das Gefühl, dass auch die beiden Schauspieler erstmal in ihre Rollen, in die Situation hineinfinden mussten und ihrerseits eigene Hemmungen und Verlegenheiten abzuschütteln hatten. So gesehen sind die etwas verkrampften und wahllosen Unterhaltungen im Zug und im Bus auch ganz realistisch, vermitteln einen Eindruck von der Schwierigkeit, einfach so aufeinander zuzugehen, ins Gespräch zu kommen. Da halt die meiste Zeit über geredet wird, hätten diese Gespräche für meinen Geschmack doch etwas interessanter ausfallen können. Ich habe mich oft dabei ertappt, wie ich einfach über die Redeflut hinweggehört und stattdessen nur die Gesichter, die Atmosphäre betrachtet habe, denn die beiden labern so allerhand Tiefsinn, der einem doch hier und da aufgesetzt und unausgegoren vorkommt, und ganz im Gegensatz zu den Filmen von Rohmer, mit dem der hier gelegentlich verglichen wird, besitzen Jesses und Célines Dauerdialoge sehr wenig Charme und Witz. Aber mit der Zeit werden die beiden Schauspieler warm und sichtlich lockerer, und außerdem zeigt Linklater ein gutes Gespür für Stimmungen und für das Miteinander der beiden. Recht bald schleicht sich natürlich eine erotische Spannung ein, man tauscht die ersten Küsschen, und je später der Abend, desto drängender erscheint die Frage, was nun zu geschehen hat. Die beiden sind verliebt, aber was sollen sie daraus machen? Sollen sie sich Illusionen und Versprechungen hingeben, oder, wie Céline meint, erwachsen und vernünftig sein und sagen, das war‘s halt, wir sehen uns doch eh nie wieder. Mit dem danach anstehenden Sex ist es ähnlich: Sie will eigentlich, und dann auch wieder nicht, weil sie glaubt, es würde ihr nur wehtun, wenn sie ihn nicht wiedersieht. Er meint, gerade weil es nur für jetzt und heute und dieses eine Mal ist… und so kommt es dann. Die richtige Intensität erreicht der Film dann am Morgen, als die beiden durch die noch nicht erwachte Stadt streifen, sichtlich in die Erinnerung an die Nacht versunken, und immer mit dem Bewusstsein der baldigen Trennung. Jetzt wird nicht mehr soviel geredet, man versinkt in eigene Gedanken, in eine Traurigkeit, die sich sehr schön mitteilt, und mich jedenfalls sehr bewegt hat, weil man dieses einschnürende Gefühl genau nachvollziehen kann, bis hin zum Bahnhof, zum Bahnsteig, zum Zug, wo sich nun wirklich entscheiden muss, was geschehen wird. Immer, wenn das allgemeine Geplapper den wirklichen Themen weicht, wenn die beiden sich Gedanken über sich machen, sich fragen, was werden soll, dann erreicht der Film das Format, das er eigentlich durchgängig haben könnte, nur wird’s leider eben der erste Teil mit allerhand belanglosem Smalltalk gefüllt, der mich manchmal etwas gelangweilt hat. Am Schluss wartet Linklater noch mit einer schönen Idee auf: Er zeigt uns alle Plätze, die Céline und Jesse im Laufe ihres kurzen Beisammenseins aufgesucht haben: Eine Brücke, einen Friedhof, das Donauufer, einen Plattenladen, den Prater, eine Kneipe, die Altstadt, die Gegend um die Hofburg undsoweiter, für uns eine willkommene Gelegenheit, uns die ganze Geschichte kurz ins Gedächtnis zurückzuholen, und andererseits fast so etwas wie eine kleine Meditation über das soeben gezeigte, jedenfalls eine sehr schöne und gefühlvolle Geste. Der Film ist vielleicht nicht in allem so gut wie seine Grundidee, aber es ist allemal eine der schönsten Liebesgeschichten, die sich denken lässt, zeitlos und sehr modern zugleich, und auch ein Klotz wie ich blieb dabei nicht unberührt. (12.4.)