La cérémonie (Biester) von Claude Chabrol. Frankreich/BRD, 1995. Sandrine Bonnaire, Isabelle Huppert, Jacqueline Bisset, Jean-Pierre Cassell, Virginie Ledoyen, Valentin Merlet

   Eine Geschichte von stillen Wassern, feinen Leuten und einer handfesten Variante des Klassenkampfes, wie sie nur Chabrol inszenieren kann, jener unverbesserliche Zyniker mit der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks, dem wir uns schmerz-, aber auch lustvoll ausliefern, in sicherer Erwartung dessen, was unweigerlich kommen muss, was uns aber auch, wenn wir ehrlich sind, ein gewisses morbides Vergnügen bereitet. Natürlich ist klar, dass jenes merkwürdige, fast autistisch verschlossene neue Hausmädchen, das sich die stinkreiche Familie in ihre schicke Villa außerhalb Saint-Malos holt, irgendwelche Abgründe in sich bergen muss. Und ebenso klar ahnen wir voraus, dass es die flinke, freche und respektlose Postangestellte sein wird, die diese Abgründe beleben und ans Licht bringen wird. Als wir dann noch die schönen, blank gewienerten und geölten Gewehre erblicken, mit denen Paps und das hübsche Töchterlein immer zur Jagd gehen, können wir uns gleich eine Vorstellung davon machen, wie die Geschichte ungefähr ausgehen wird. Bis dahin aber liefert uns Chabrol einen weiteren, besonders exquisiten Beweis seiner Könnerschaft, eine kleine, geschlossene Gruppe von Menschen präzise zu sezieren, ihre Rituale, Umgangsformen, ihren Tonfall, ihr Verhältnis zu anderen nachzuempfinden. Die Lelièvres sind bessere Leute, wollen dies zwar nicht so nach außen durchscheinen lassen, tun dies indirekt aber dennoch laufend. Besonders Madame bemüht sich, Sophie nett und nicht zu herablassend zu behandeln und gebärdet sich gerade deswegen besonders herablassend. Der Wohlstand ist allen Vieren so in die Glieder und in den Kopf gesickert, dass sie eben nicht anders können, als reiche, hochnäsige Bourgeois zu sein, daran gewöhnt, zu bekommen, was sie begehren. Jeanne von der Post hat solche Leute gefressen und lässt sie ihre flapsige Despektierlichkeit gern spüren. Jeanne ist überhaupt das genaue Gegenteil von Sophie: Lebhaft, unbekümmert, tüchtig, wo Sophie Analphabetin, schüchtern und völlig verschlossen ist. Sie reagiert fast nur auf Impulse von außen, und wenn sie in Panik gerät, dreht sie halt den Fernseher lauter und tut, als höre sie nichts. Beide haben aber auch etwas gemeinsam, nämlich zumindest den starken Anteil am Tod eines Menschen: Jeanne an dem ihrer kleinen Tochter, Sophie an dem ihres alten Vaters. Beide verdrängen. Nur mit unterschiedlichen Mitteln, sie werden zu Komplizinnen im Geiste und schließlich auch in der Tat. Jeanne muss natürlich die Initiative ergreifen, aber Sophie schießt zuerst. Sie überlebt auch, denn Jeanne wird im Auto ausgerechnet vom Dorfpfarrer gerammt und kommt zu Tode. Der Mord ist auf einer Musikkassette aufgezeichnet, fragt sich nur, ob die Polizei die richtigen Schlüsse ziehen kann. Obwohl gerade der Mord ziemlich scheußlich und kaltblütig erscheint, empfinden wir dennoch zu keiner Zeit Sympathie mit den Opfern, zu realistisch ist Chabrol dieses Porträt gelungen: Diese bekannte Kulturbeflissenheit – Mozart natürlich muss es sein, und dann in Frack und Abendkleid vor die Glotze gehockt und ergriffen gelauscht -, diese Aggressionen, die unter der feinen Oberfläche lauern, der Standesdünkel, der vor allem im Umgang mit Gleichrangigen voll ausbricht, der Schulterschluss gegen die Bedrohung von unten, die ständige Bevormundung und die Großzügigkeit, die gar keine ist, sondern nur der Versuch, sich Sophie nach eigenem Gutdünken hinzubiegen. Natürlich identifizieren wir uns auch mit den beiden Frauen nicht ganz, zumindest nicht, seitdem wir mehr über ihre Vergangenheit wissen. Doch unsere Komplizenschaft gehört eher ihnen, ganz nach dem Willen des genialen Manipulators Chabrol, der die hohe Gesellschaft stets als Opfer bevorzugte und sich ihrer Heuchelei und ihrer moralischen Verkommenheit gern und mit nicht enden wollender Ausdauer gewidmet hat. Dieser Film ist in seiner Art fast perfekt, ein fieses kleines Psychogramm, ein spannender, unnachahmlich aufgebauter und sich geduldig steigernder Krimi und darüber hinaus eine Fingerübung perfekter Schauspielkunst, vor allem an der Huppert hatte ich so viel Spaß wie schon lange nicht mehr. Ihre spitzbübische Dreistigkeit, ihr verschlagenes Gesicht, das in einem winzigen Bruchteil den Ausdruck vollkommen verändern kann, mal kumpelhaft, nett und hilfsbereit und mal fast dämonisch, auch wenn es anfänglich eher um harmlose Streiche geht. Sandrine Bonnaire als verhärmte, strenge, vielfach fast sprachlose Sophie ist nicht weniger glaubhaft, und Bisset und Cassel geben ein wunderbares Ehepaar Lelièvre ab, wobei es sich sehr bezahlt macht, dass Chabrol die schrillen und satirisch überzogenen Töne vermieden hat und eher auf Realismus mit den feinen Untertönen setzt, was hier überaus wirkungsvoll ist. Ein in vieler Hinsicht abgründiges Werk und innerhalb des Chabrolschen Œuvres sicherlich jetzt schon ein Klassiker. (13.11.)