Butterfly Kiss (#) von Michael Winterbottom. England, 1994. Amanda Plummer, Saskia Reeves

   Eunice zieht durch England und tötet Menschen. An einer Tankstelle trifft sie auf Miriam, die sich ihr kurzentschlossen anschließt. Die beiden ziehen weiter, und weiter tötet Eunice, und schließlich tötet auch Miriam. Am Ende bittet Eunice ihre Freundin, sie zu töten, was Miriam auch tut.

 

   Ein weiterer Massenmörderfilm mit viel Blut, wenig Erklärungen und jener coolen Fatalistenpose, die man aus einschlägigen Hollywoodauswürfen gewohnt ist. Sollte man meinen, ist aber nicht so, gottseidank. Vielmehr entfaltet sich hier ein finsteres, bestürzendes psychologisches und soziales Porträt in einer Umgebung völliger Gleichgültigkeit und Amoral. Eunice und Miriam sind ein denkbar ungleiches Paar, wie Miriam da in einem Schwarzweißinterview, vermutlich im Rahmen eines Polizeiverhörs, erläutert: Eunice ist Widder, ein Feuermensch, Miriam ist Fisch, ein Wassermensch, und wenn das zusammengehen soll, muss man hart daran arbeiten. Miriam ist dazu bereit, weil sie Eunice liebt, weil sie überhaupt zum allerersten Mal einen Menschen zu lieben scheint. Denn natürlich besteht der ebenso erschreckende wie faszinierende Kontrast zwischen den beiden Frauen noch aus etwas anderem: Eunice muss Schlimmes durchgemacht haben in ihrem Leben, während Miriam überhaupt nichts erfahren, nichts erlebt, nichts gefühlt hat. Eunice ist amoralisch geworden durch ihre furchtbaren Erfahrungen, Miriam ist amoralisch durch fehlende Erfahrung, und nur so ist sie in der Lage, sich auf das mörderische Tun ihrer Freundin einzulassen, weil sie nämlich Eunices Handlungen, Motive und Maßstäbe verabsolutiert, weil sie keine eigenen Moralnormen hat, die sie zum Vergleich, zur Relativierung heranziehen könnte. Miriam ist praktisch eine leere Hülle, die darauf wartet, von irgendjemandem gefüllt zu werden, und nun ist es ausgerechnet Eunice, die dies besorgt. Eunice ihrerseits brennt innerlich, zerreißt innerlich fast von alledem, was sich da aufgestaut hat, und was wir allerdings nur vermuten, erahnen können. Sie wird vorangetrieben durch einen so unbändigen Selbsthass, dass sie ihre rasenden Emotionen auch gegen andere lenken muss, während sie sich selbst konstante Schmerzen zufügt, nicht zuletzt auch durch ihre Piercingmethoden und die daran aufgehängten Ketten, die ihrem ohnehin ausgemergelten Körper einen wahrlich furcht-, aber auch mitleideinflößenden Anblick verleihen. In ihrer tiefen Entwurzelung und Verwirrtheit ist sie außerdem zu einer religiösen Fanatikerin geworden, zu einer Prophetin des Bösen, des Abgründigen, die immer nur Schlechtes, Verräterisches in den Menschen sucht und natürlich auch findet. Sie nähert sich Frauen auch sexuell und tötet sie dann, wenn sie auf Ablehnung stößt. Sie provoziert Männer und tötet sie dann, wenn die sich geifernd auf sie stürzen. Verzweifelt versucht sie, Spuren zu hinterlassen, ihre Existenz zu beweisen, und verzweifelt muss sie immer wieder erkennen, dass all ihre Taten groteskerweise folgenlos bleiben. Was immer sie tut, wen immer sie wo tötet, nichts scheint ihr zu geschehen, niemand nimmt Notiz, alles bleibt beim Alten. Die Rastlosigkeit der Autobahnen und Motels, die monströse Gleichgültigkeit der Reisenden, die Kälte und Ödnis der nord- und mittelenglischen Industrielandschaften fügen sich zu einem düsteren, niederschmetternden Gesellschaftspanorama zusammen, in dem Eunice mit schrecklicher Willkür wütet, aber keine Erlösung finden kann. Miriam ist beeindruckt von der vermeintlichen Stärke Eunices, ihrer dominanten Gegenwart, ihrer irrlichternden, faszinierenden und zugleich abstoßenden Persönlichkeit, die abwechselnd wahnsinnige Aggression und Verletzlichkeit ausstrahlt. Sie ist auf der Suche nach Erfahrungen, wobei sie ganz auf die Person der Freundin fixiert ist, ehrlich bemüht, sie zu verstehen und auch zu entschuldigen. Ihre tödliche Naivität erscheint manchmal, vor allem in den eingeschnittenen Interviewpassagen, ein wenig übertrieben, letztlich aber repräsentiert auch sie nur einen weiteren Aspekt sozialer Einsamkeit und Isolation. Das ewig gleichförmige Leben an der Seite ihrer Großmutter hat sie innerlich austrocknen, abstumpfen lassen, und wo sich Eunice mit destruktiver Energie gegen dieses Schicksal auflehnt, fristet Miriam resigniert ihr Dasein an der Kasse einer Tankstelle ohne Aussicht auf irgendeine Änderung. Ein durch und durch erschreckender, filmisch eindrucksvoll gestalteter Alptraum, der sich bequemen Deutungsmustern verweigert, aber dennoch um eine Annäherung, eine Stellungnahme bemüht ist. Amanda Plummer in der der Eunice ist, glaube ich, die weitaus eindrucksvollste und stärkste Verkörperung menschlicher Aggression, die ich jemals gesehen habe. Alles an ihr, das hagere, scharfe Gesicht, die stechenden, fanatischen Augen, die ruhelose, angespannte Körpersprache, ist irgendwie erschreckend, aufwühlend, eine vielleicht extreme, aber auch folgerichtige gesellschaftliche Ausgeburt. Saskia Reeves hat es dagegen natürlich schwer, Akzente zu setzen, aber sie versucht auch gar nicht, Plummer an Virtuosität zu übertreffen, sondern bleibt ganz in Miriams Charakter und ist deshalb nicht weniger beeindruckend. Zwei grandiose Schauspielerinnen in einem bemerkenswerten Film, den man so leicht nicht vergessen kann. (5.8.)