Carrington (#) von Christopher Hampton. England, 1995. Emma Thompson, Jonathan Pryce, Steven Waddington, Samuel West, Rufus Sewell

   Ein neuer britischer Selbstläufer aus dem großen Kulturbereich Marke E.M. Forster, Elisabeth von Arnim, James Ivory und neuerdings auch T.S. Eliot, C.S. Lewis und Co. Gepflegtes Handwerk, nostalgisch-ästhetische Bilder und durchweg glänzende Schauspieler zeichnen diese Filme aus, die scheinbar die Sehnsucht nach der kaputt-heilen Künstler- und Gesellschaftswelt der Zwanziger und Dreißiger reflektieren. Das gilt auch für dieses Werk, die Geschichte der jungen Malerin Dora Carrington, die ihren Vornamen kappt und auch sonst lieber ihren Mann als ihre Frau steht, sich in den schwulen Biographen und Sprücheklopfer Giles Lytton Strachey verliebt und bis zu seinem Tode 1932 siebzehn Jahre lang auf die eine oder andere Weise seinen Weg begleitet, stets mit anderen Männern, aber wirklichen Gefühlen nur für ihn. Letzteres zeigt sich auch darin, dass sie kurz nach seinem Tod verzweifelt und vereinsamt Selbstmord beging, mit noch nicht mal vierzig Jahren.

 

   Eine bewegende, faszinierende und jedenfalls ungewöhnliche Liebesgeschichte, eigentlich platonisch, dennoch nicht distanzieret oder unkörperlich. Lytton kann mit Frauen sexuell eigentlich natürlich nichts anfangen, Carrington aber rührt ihn dennoch, bewegt ihn zu einer Treue und Dauerhaftigkeit, die sonst nicht gerade seinem Wesen entspricht: Ein eitler Geck und Exzentriker, ein Außenseiter, der innerhalb der Bloomsburygruppe mit Vorliebe geistreiche, bissige Bonmots absondert, als Biograph mit ganz neuen Akzenten langsam zu Ruhm und Ehren gelangt, ein kompliziert, eigenwilliger aber auch liebenswürdiger Typ, ein Kauz mit Wuschelbart und Brille, der mit Mitte Dreißig schon das Jammerlied des Alterns anstimmt und gern nach knackigen Knaben Ausschau hält. Er zeigt wenig Sinn fürs Praktische, lässt die Frauen stets die Koffer tragen und versteckt Gefühle gern nach britischer Art hinter gekonnter Rhetorik. Carrington steht ihm an Eigensinn in nichts nach. Sie schneidet sich die Haare ungebührlich kurz, trägt legere Flatterkleider und besteht darauf, selbst den Mann auszuwählen, der sie entjungfern soll. Sie unterhält mit einigen Männern wechselhafte Liebesaffären, sorgt für reichlich Aufwallungen unter ihren Freunden Ralph und Gerald, die um ihre Gunst ringen, aber im Falle Ralphs sowohl mit anderen Frauen als auch mit Lytton sexuelle Beziehungen unterhalten. In einem schönen Landhaus, das sie zumeist irgendwie alle bewohnen, geht es also ziemlich durcheinander, doch die Freundschaft zwischen Carrington und Lytton ist die große Konstante, und die junge Malerin verfolgt sie mit absoluter Kompromisslosigkeit, opfert alles andere dafür. Der Film ist insofern angenehm konsequent, als er die Personen nur als Menschen zeigt und als Künstler ausklammert. Zwar erhaschen wir mal einen kurzen Blick auf ein Bild Carringtons oder auf den Umschlag von Lyttons Erfolgsbuch „Eminent Victorians“ von 1918, doch näher geht Hampton auf die Werke der beiden nicht ein, sondern kontriert sich richtigerweise, wie ich finde, auf das komplexe, lebhafte Gefühlsleben um die beiden herum. Wie immer in diesen Filmen bleibt auch diesmal das Handwerk ein gutes Stück hinter den Charakteren und der Interpretation durch die Darsteller zurück. Zwar sind Emma Thompson und Jonathan Pryce anfangs viel zu alt für ihre Rollen, aber sie spielen dennoch fabelhaft, was ebenso für die gut ausgeführten Nebenrollen gilt. Die sehr sperrigen und unkonventionellen Menschen, die sich hier zwischen der Londoner Künstler- und Snobgesellschaft und dem Leben auf dem Land bewegen, hätten allerdings auch filmisch mehr Ausdruck, mehr Originalität und Mut seitens des Regisseurs verdient gehabt, der aber verlässt sich nach bewährter Art auf sehr schöne, stilvolle Bilder, auf Michael Nymans sehr massiv und emotionalisierend eingesetzte, zugegebenermaßen aber auch sehr schöne Musik und auf jene Häppchendramaturgie, die stets ein wenig zu rasch und flüchtig von einer Szene zur anderen springt, immer am Rande der Oberflächlichkeit und Glätte, und die Tatsache, dass der Film dennoch oft ziemlich bewegend und eindringlich ist, darf sich bestimmt nicht der Herr Filmemacher zugutehalten, dieses Verdienst gebührt zuerst den Schauspielern. Ein weiteres Beispiel für eine starke, interessante Geschichte und eine Regie, die auf Nummer sicher geht, gediegenes, sicheres Handwerk bevorzugt und damit ganz offensichtlich hofft, in eine Reihe mit den Vorgängern gestellt zu werden und so zum Erfolg zu kommen. Man sollte sich dabei von einigen derberen Ausdrücken oder Kopulationsszenen nicht täuschen lassen: Sexualität und geistige Freiheit werden zumeist nur verbal behauptet, und trotz der recht eingehenden Charakterstudien hätte man gut noch etwas weiter und tiefer gehen können. Hier vor allem hat Ivory mehr erreicht, aber sonst hebt sich Hamptons Film weder positiv noch negativ von diesem britischen Genre ab, das heißt, wer das prinzipiell gern sieht, so wie ich, nimmt auch diesmal die Mängel in Kauf, und wer das für gediegene Langeweile hält, wird seine Meinung auch jetzt nicht ändern.  (5.7.)