Cyclo (#) von Tran Anh Hung. Vietnam/Frankreich, 1995. Le Van Loc, Tony Leung Chiu-Wai, Tran Nu Ye Ken, Nguyen Nhu Quynh

   Wer diesmal wieder einen kulinarischen und optischen Leckerbissen à la grüne Papayas erwartet hatte, wird vermutlich mit verkorkstem Magen von dannen gestolpert sein. Denn hier geht es nicht mehr um das gute alte Vietnam, so wie es einmal gewesen sein mag, hier geht es um das neue Vietnam von heute, und das ist offensichtlich nicht ganz das gleiche. Es gibt einige Filme aus der sogenannten Dritten Welt über das Leben in den großen Städten, und die sind alle hart, beeindruckend und nicht leicht zu ertragen. So auch dieser. Ein junger Mann, der wie viele andere ein Fahrradtaxi in Saigon, oder besser Ho-Chi-Minh-Stadt betreibt, gerät, nachdem man ihm sein Arbeitswerkzeug gestohlen hatte, in den Sog einer mafiaähnlichen Bande und muss für sie kleinere und später größere Aufträge ausführen. Parallel dazu wird seine Schwester in der gleichen Bande als Prostituierte eingeführt, und zwar von ihrem Freund, der „Poet“ genannt wird und auch Cyclos Arbeitsgeber ist. Der Junge soll schließlich einen Mord begehen, bedröhnt sich aber aus Angst mit starken Drogen und tötet sich um ein haar selbst. Am Tag darauf entlässt ihn die Bande, schont jedoch, ganz gegen die Gepflogenheiten, sein Leben. Auch die Schwester entkommt einem sicheren Schicksal: Der Poet verbrennt in seiner Wohnung, und schließlich ist die Familie wieder vereint.

 

   Überleben in Saigon heißt das Motto hier, und das scheint wahrlich nicht leicht zu sein. Die Stadt ist kein Betonmoloch à la New York oder Tokio, sondern eher ein Ameisenhaufen, ein irrsinniges Gewirr von Menschen auf den Straßen. Da wimmelt alles durcheinander, auf Fahrrädern, Mopeds, in Autos, Bussen und allem, was da sonst noch fahren, laufen oder kriechen kann. Allein das ist schon ein echter Kampf, aber natürlich spielt sich das Schlimme erst hinter der Fassade aus Staub, Hupen und Motorengeknatter ab. Die Stadt ist aufgeteilt in Bandenbezirke, und jede herrscht mit maximaler Brutalität. Es wird gemordet, gefoltert, abgebrannt undsoweiter. Cyclo muss erkennen, dass die, die sein Fahrrad geklaut haben, aus der eigenen Bande kommen, ein Trick vielleicht, um ihn in ihre Abhängigkeit zu treiben. Was er sieht, ist entsetzlich, und was er tun muss, auch. Zunächst genießt er seine neue Macht, das viele Geld und seine Überlegenheit der Polizei gegenüber, denn natürlich kennt er in dem Labyrinth der Straßen und Seitenwege jedes Versteckt, jede Abkürzung. Erst als er tatsächlich töten soll, meldet sich sein Gewissen und lässt ihn beinahe zerbrechen. Er scheint nichts von dem gleichzeitig ablaufenden Schicksal seiner Schwester zu wissen, nur wir erfahren es durch die parallele Handlungsführung Trans, der ein atemloses, sich ständig steigerndes und zuspitzendes Großstadtpuzzle entwirft, ein Bild von beängstigender, bedrohlicher Düsternis, in dem es kaum einen einzigen Moment der Ruhe und des Friedens gibt. Der fatale Kreislauf aus Armut, Kriminalität, Prostitution und Drogensucht scheint sich für alle, die in diesem Milieu leben, also draußen auf den Straßen, außerhalb der sorgsam abgeschirmten Luxusherbergen, unweigerlich zu erfüllen. Um so überraschender ist eigentlich das eher positive, fast optimistische Ende, das dieser Familie noch einmal eine Chance gibt, auf andere Weise ihr Leben fortzusetzen. Nach den kompromisslosen, teilweise extrem harten, gewalttätigen und eindringlichen Schilderungen aus dem Abgrund erscheint mir persönlich diese Wendung nicht ganz schlüssig. Sie scheint für Tran eher das Prinzip Hoffnung zu symbolisieren, wie auch die singenden Schulkinder, die noch nichts von dem wissen, was sich da draußen alles abspielen kann. Hier werden für einen Moment, und für uns zunächst nicht leicht erkennbar, Reinheit, Unschuld und Verletzlichkeit gegen die Gewalt und den Verfall gesetzt, so wie Tran möglicherweise am Schluss die letzte Konsequenz verweigert, um nicht in Resignation und völlige Hoffnungslosigkeit zu versinken. Künstlerisch ist ihm erneut ein großer Wurf gelungen, sowohl durch die hervorragenden Darsteller als auch durch die bestechende Kamera- und Tonarbeit. Selten einmal wird die ständige Geräuschkulisse der brodelnden Großstadt so stark präsent wie hier, selten ist eine Tonspur so realistisch und differenziert gelungen. Als Zuschauer hat man stets ein wenig Angst, mit den Hauptfiguren in diesem Dschungel zu ertrinken, so nah sind die Ereignisse, so intensiv stürzt sich die Kamera mitsamt Mikro ins Gewühl, in den Strudel der Ereignisse, so schrecklich und explizit sind einige der Gewaltszenen. Von einem leicht konsumierbaren, zugänglichen Film kann kaum gesprochen werden, wohl aber von einem eindrucksvollen, komplexen und leider wohl sehr aktuellen Porträt einer großen Stadt, die viele Namen haben könnte. (11.12.)