Priest (Der Priester) von Antonia Bird. England, 1994. Linus Roache, Tom Wilkinson, Robert Carlyle, Cathy Tyson, Lesley Sharp

  Die katholische Kirche (aber nicht nur die) hat in dieser Zeit immer mehr Probleme, mit selbiger Schritt zu halten. Die starre hierarchische Struktur, der grässliche überkommene moralische Katalog und ihre allgemeine geistige Unbeweglichkeit machen sie oft hilflos angesichts sozialer und menschlicher Krisen. Der junge Greg, der das Priesteramt in einer nicht eben wohlhabenden Liverpooler Gemeinde antritt, repräsentiert just dieses Dilemma: Er zieht sich auf Dogmen und den eigentlichen Auftrag der Kirchen zurück, wo zupackendes soziales Engagement gefragt wäre, so wie es ihm sein älterer Kollege tagtäglich vorlebt, und er reagiert abwechselnd entrüstet und verzweifelt auf diverse sexuelle Konstellationen in seiner Umgebung, beispielsweise auf das Verhältnis seines Kollegen mit der Haushälterin, oder auf das junge Mädchen, das von seinem Vater sexuell missbraucht wird. Dieser fall ist für ihn eine Art Probe, denn zunehmend muss er sein berufliches Selbstverständnis in Frage stellen, muss sich entscheiden, ob er sich stärker an das Beichtgeheimnis oder an sein menschliches Gewissen gebunden fühlt, also ob er sich einmischen soll oder nicht. Ein weiterer Konflikt bedarf auch noch einer Lösung: Er ist schwul und lernt einen jungen Mann kennen und lieben. Der Skandal in der Gemeinde ist vorprogrammiert, und schon zieht sich Greg bereitwillig aufs Land zurück, um dort eine klägliche Existenz als ungeliebter, streng kontrollierter Priester zu führen, doch sein Kollege lässt nicht locker, überredet ihn, die messe gemeinsam mit ihm zu lesen und konfrontieret die Gemeinde offen mit dem Fall. Die Folge: Die konservativen Mitglieder verlassen empört die Kirche, die aufgeschlosseneren bleiben. Preisfrage: Ist die Kirche nun halb voll oder ist sie halb leer?

 

   Man könnte dem Film mit einiger Berechtigung vorwerfen, dass er einfach zu viel in so kurze Zeit gepackt hat: Kirche und soziale Armut, Kirche und Zölibat, Kirche und Homosexualität, Kirche und Kindesmissbrauch, Kirche und Autorität, all dies findet hier seinen Niederschlag, aber Antonia Birds verdienst liegt unter anderem darin, dass die ganze Sache niemals oder nur ganz selten überladen wirkt. Stattdessen hat sie einen Film in bester englischer Tradition gedreht, einen dieser Filme, die fein zwischen Engagement und Pathos, zwischen Gefühl und Kitsch differenzieren können, die einen klaren aber durchaus auch humorvoll-ironischen Blick für gesellschaftliche Zustände haben und diesen dann in eine menschlich bewegende Geschichte verwandeln. Wie dieser ganze monströse, mittelalterliche Apparat, dem er dient, stolpert auch Greg von einer Krise, von einem Aha-Erlebnis ins andere. Dieses Liverpool zwischen Arbeitslosigkeit, Jugendkriminalität, Armut und dergleichen bietet wenig Spielraum für das Verharren in alten Werten und Positionen, hier ist Flexibilität auf jedem Gebiet gefragt, und genau das hämmert ihm der Kollege immer wieder ein. Entweder die Kirche geht endlich auf die Menschen zu, oder sie erklärt ihren eigenen Bankrott, andere Alternativen kann es nicht geben. Ob es nun um soziale Spannungen oder Sexualität geht, Offenheit und Selbstkritik sind in höchstem Maße gefragt, und dazu gehört dann eben auch mal, dass man dem Vorgesetzten, in diesem Fall dem Bischof, deutlich die Meinung geigt, sich gegebenenfalls über seine Direktiven schlicht hinwegsetzt und auf Gemeindeebene die eigene Linie fährt. Father Matthew macht es Greg vor: Er ist den Leuten nahe, diskutiert politische und soziale Themen, singt auch schon mal in der Kneipe Karaoke und pfeift auf das Dogma, weil er weiß, dass er die Menschen letztlich nur dann versteht, wenn er wie sie lebt. Gregs fundamentalistische und anfänglich recht biedere Attitüde gerät nicht nur ins Wanken, sie stürzt ihn und andere in ernste Probleme, denn manchmal geht es eben nicht ums Prinzip, um die reine Lehre, sondern um ganz praktische Lebenshilfe. Die Versöhnungsgeste am Altar zum Schluss signalisiert seinen Lernprozess, zeigt aber auch, wie tief und dramatisch sein Gewissenskonflikt im Fall der Kindesmisshandlung war. Mit viel Gefühl und ebenso viel Präzision erfasst Bird das Milieu, die Situation der Kirche und was das für den einzelnen Menschen zu bedeuten hat. Sie diskutiert keine abstrakten Themen, sondern bleibt immer auf der menschlichen Ebene und kommt zu einer mitfühlenden und sehr kritischen Darstellung. So ganz nebenbei macht sie uns nochmals deutlich, wie schwulenfeindlich England noch immer ist, und man darf vermuten, dass dies nicht nur für den eher katholischen, weil schottlandnahen Norden gilt, sondern für das ganze tolle Königreich. Die beiden Männer werden knutschend von einem Bullen im Auto gestellt und gleich ab auf die Wache gezerrt, als handele es sich um Verbrecher. Den tiefen Ekel und Abscheu erfährt Greg dann in der Kirche selbst von Leuten, die selbst reichlich Anlass zur Reue haben sollten. Trotz der allgemeinen Krise herrscht keine Solidarität in einer Gemeinde, sondern noch immer dominieren Heuchelei und Bigotterie. Inwieweit die Kirche an diesem Zustand schuld ist, ist nur eine Frage, die dieser hervorragende Film aufwirft. (29.5.)