Der Totmacher von Romuald Karmakar. BRD, 1995. Götz George, Jürgen Hentsch, Pierre Franckh, Hans-Michael Rehberg
Aus den Göttinger Verhörprotokollen, die der Psychologe von seinen tagelangen Gesprächen mit dem Massenmörder Fritz Haarmann bis zu dessen Hinrichtung 1925 angelegt hat. Es soll um das Innenleben dieses Menschenschlachters gehen, der zwanzig oder noch mehr Jungen, zumeist vom Strich, getötet und anschließend zerlegt hat. Aber ein Innenleben erschließt sich natürlich nicht so einfach, erst recht nicht, wenn man, wie der gute Herr Schultze, gewisse eigene Hemmschwellen hat, an die man nichts herankommen lässt, und so bleibt das Mysterium Haarmann, wenn man ihm denn unbedingt auf die Spur kommen will, ungeklärt. Stellt er sich nur dumm oder ist er es tatsächlich? Erkennt er nur seine Taten an, oder fühlt er darüber hinaus so etwas wie Schuld? Ist er ein eiskalter Mörder oder eher ein unberechenbarer Triebtäter? Wie kann man seine kindliche Naivität erklären, seine stupide Eitelkeit, seinen Hang, viele Dinge zu verdrängen, seine verquere Selbstwahrnehmung? Welche Rolle spielen die offenbar problematische Kindheit, die Mutterfixierung, der Vaterhass, die Bettnässerei, die Aufenthalte in einem Heim? Wie ist der plötzliche Umschwung von der Hetero- zur Homosexualität zu erklären? Nur damit, dass Frauen ihn zumeist ablehnten? Einiges lässt sich zusammenreimen, anderes wiederum bleibt definitiv unbeantwortet. Schultze sitzt Haarmann gegenüber mit einer Mischung aus wissenschaftlicher Neugier, mit der es allerdings nicht sehr weit her ist, und menschlichem Ekel. Der ist ausschlaggebend dafür, dass sein Verhör nicht wirklich in die Tiefe geht. Sexuelle Praktiken unter Strichern sind ihm ebenso zuwider wie Haarmanns merkwürdiges Verhältnis zu seinen Gräueltaten, die ihn mal mit Erschütterung und mal mit gleichgültiger Befriedigung erfüllen. Schultze sieht sich einem menschlichen Monstrum gegenüber, mit dem er am liebsten überhaupt nichts zu tun haben würde, und nur ganz allmählich weicht seine Haltung etwas auf, bis er sich schließlich sogar zu so etwas wie Mitgefühl aufzuschwingen scheint, als die Hinrichtung Haarmanns kurz bevorsteht.
Karmakar hat dies als intensives, nur auf den Verhörraum konzentriertes Kammerspiel inszeniert und für einen äußerlich dichten rahmen gesorgt, indem es keine überflüssigen Abschweifungen und Darstellungen gibt, nur das, was zwischen Haarmann und Schultze gesprochen wird. George füllt seine Rolle, sicherlich die anspruchsvollste, die er seit langem zu spielen hatte, mit eindrucksvoller stimmlicher und physischer Präsenz aus. Manchmal überzieht er für meinen Geschmack ein bisschen, aber natürlich hat man auch zu oft den George vor Augen, den man sonst aus der TV-Dutzendware kennt und in eine entsprechende Schublade gesteckt hat. Sein launiges, abwechslungsreiches und temperamentvolles Spiel kontrastiert mit Hentschs ruhigem Schultze, der um teilnahmslose Sachlichkeit bemüht ist, aber gelegentlich dann doch mal die Fassung verliert. Mich hat ein bisschen die Sprunghaftigkeit der Themen gestört, aber die ist sicherlich auch ganz realistisch, denn eine solche Mammutsitzung kann wohl kaum nach einem festgefügten Plan verlaufen, sie muss unberechenbar sein, mit Höhen und Tiefen, mit Spannungsmomenten und auch Augenblicken der Belanglosigkeit. So verdichtet sich hier die Atmosphäre immer mal wieder zwischendurch, um dann wieder nachzulassen. Das ist weniger effektiv als eine linear verlaufende, durchkomponierte Dramaturgie, aber vielleicht war die in diesem Fall auch nicht möglich, zumal man sich wortwörtlich an das Protokoll gehalten, es lediglich auf Spielfilmlänge reduziert hat. Immerhin gewährt der Film bis zu einem gewissen Grade Einblick in die Banalität des Bösen, nur einer andersgearteten als die Eichmanns beispielsweise. Haarmann war zu grauenhaften Dingen fähig, sah aber andererseits die Welt scheinbar mit den Augen eines Kindes. Das Phänomene wie Eis oder Schnee lediglich rein sinnlich erfasste, ohne sie erklären, analysieren zu können. Die Zahlen- und Wissensspiele des Psychologen mögen vielleicht ein Zeichen von Hilflosigkeit oder Verklemmung gewesen sein, aber sie förderten auch zusätzliche Einsichten zutage, die wichtig waren für das Gesamtbild vom Mörder Haarmann, das man sich ja gern machen würde. Der Film kann diese nicht vermitteln, aber er tut auch gar nicht so, als könnt er es. Die wirklichen Abgründe eines Menschen sind eben doch unerforschlich. (18.12.)