Dolores von Taylor Hackford. USA, 1995. Kathy Bates, Jennifer Jason Leigh, Judy Parfitt, Christopher Plummer, David Strathairn, Ellen Muth, Eric Bogosian

   Zweimal versucht Mackey der Bulle, Dolores wegen Mordes dranzukriegen: Zunächst beim Tod ihres Gatten und dann, fast zwanzig Jahre später, beim Tod ihrer greisen Arbeitgeberin, für die sie fast ein Vierteljahrhundert geschuftet hatte und von der sie anderthalb Millionen Dollar erben wird. Doch Mackey kann seine sagenhafte Statistik aufgeklärter Mordfälle nicht auf null bringen – beide Male sammelt er nur Indizienbeweise, und beim zweiten Fall erhält Dolores in letzter Minute doch nicht Beistand von ihrer Tochter Selena, die fast schon abgereist war, sich aber dann eines anderen besonnen hatte.

 

   Zwei Frau-zu-Frau-Beziehungen stehen im Vordergrund dieses spannenden Psychodramas: Die von Dolores zu ihrer Tochter und die von Dolores zu ihrer Arbeitgeberin Vera, einer tyrannischen stinkreichen Ziege, für die sie sich aufopfert, von der sie sich schikanieren, beleidigen, demütigen lässt, von der sie aber andererseits in einer entscheidenden Situation einen überraschenden Anstoß erhält. In zahlreichen Rückblenden, die oft in Form jäher Assoziationen oder Erinnerungen in die Gegenwartshandlung einbrechen, wird das Drama der Familie St. George aufgerollt, das personifiziert wurde von Selenas Vater und Dolores‘ Ehemann Joe, der so ziemlich alle schlechten männlichen Eigenschaften auf sich vereinigt und damit die einzige wirklich schwach weil zu massiv klischeehaft gezeichnete Person hier ist: Ein dreckiger kleiner Säufer, der die Familie terrorisiert, seine Frau prügelt, ihr mühsam angespartes Geld abhebt, sie gemein verhöhnt und zu alledem auch noch Selena sexuell missbraucht. Die Tochter hast das Trauma lange verdrängt, ihrer Mutter die Schuld an Joes Tod gegeben und sich später nach New York geflüchtet, wo sie Journalistin wurde, aber nicht glücklich, sondern einsam, verbittert, alkohol- und tablettenabhängig. Ihre Annäherung an Dolores ist schwierig, schmerzhaft und widerwillig, weil es für sie bedeutet, sich einer Vergangenheit zu stellen, vor der sie endgültig geflohen zu sein glaubte. In einem der ganz wenigen schockartigen Momente des Films erinnert sie sich dann aber doch an die Umstände des Missbrauchs, an die furchtbaren Augenblicke, deren unterdrückte Wirkungen bis in die Gegenwart hineinreichen. Als Dolores von Joes Verbrechen erfuhr und sich in ihrer Verzweiflung Vera mitteilte, war deren Botschaft unmissverständlich: Manchmal musst du als Frau ein Miststück sein, um in dieser Welt überleben zu können, und: Ein Unfall kann der beste Freund einer unglücklichen Frau sein. Ob diese etwas unerwartete Kumpanei zweier so verschiedener Frauen glaubwürdig ist, bleibt fraglich, sie sorgt jedenfalls für eine äußerst wirkungsvolle Szene. Andererseits ist klar, dass Vera Dolores‘ eisernen Willen schätzt, der allein es ihr ermöglicht, so lange bei Joe zu bleiben, all die schikanösen Rituale der Hausarbeit mit muliähnlicher Duldsamkeit Tag für Tag zu wiederholen und sich unermüdlich zu schinden mit dem einen Ziel vor Augen: Selena und möglichst auch sich selbst so rasch wie möglich fort zu schaffen von Joe, von der Insel, auf der sie leben, von allem. Vera sieht in Dolores die Frau, die ihr in gewissen Dingen ebenbürtig ist, und durch all ihren zynischen Zank, der zuletzt, als Vera ein Pflegefall wird, ihr Miteinander beherrscht, klingt doch immer gegenseitiger Respekt durch, wenn nicht sogar mehr. Jedenfalls nimmt sich Dolores den Hinweis Veras zu Herzen, flößt Joe den besten Whisky ein und inszeniert einen tödlichen Unfall, bei dem sie tatsächlich nicht handgreiflich nachhelfen muss. Vera selbst stirbt schließlich, als sie sich aus Verzweiflung über ihr endloses Siechtum die Treppe hinunterstürzt. Dolores, die die noch lebende alte Frau auf deren Flehen endgültig erschlagen will, wird vom Postboten dabei überrascht, und so glaubt Mackey nun, den sicheren Beweis in den Händen zu haben. Hackford inszeniert wie gewohnt breit, mit ein paar Wolken- und Abendhimmelsbildern zuviel, einigen schönen Bildern von der kleinen Insel, auf der sich alles zuträgt, und ansonsten drei glänzend aufgelegten Darstellerinnen, ergänzt durch Plummer als verbissenen, fanatischen, besessenen Detektiv, der ein ebenbürtiger Gegner für die nicht minder starrköpfige, verbohrte und schlagfertige Dolores ist. Bates und Leigh gestalten ihre gemeinsamen Szenen glänzend und sehr eindringlich, unterstützt von einer Regie, die auf allzu großartiges Beiwerk verzichtet, sich auf die Menschen konzentriert und bis auf eine allzu künstliche Sonnenfinsternis und das etwas arg rührselige Ende weitere überflüssige Melodramatik und den gewohnten Hollywoodkitsch weglässt. Solide, anspruchsvollere und bis zum Schluss auch spannende Unterhaltung in für Hollywoodmaßstäbe überdurchschnittlicher Qualität. (27.12.)