Funny Bones (#) von Peter Chelsom. England/USA, 1994. Oliver Platt, Lee Evans, George Carl, Freddie Davis, Leslie Caron, Jerry Lewis, Oliver Reed, Richard Griffiths
Herr Chelsom liebt offensichtlich die skurrile, charmant-nostalgische Welt des Vaudeville, der Clowns und Sänger auf den kleinen Bühnen, der heimlichen Größen der Komik, auf die niemand jemals aufmerksam werden wird, außer natürlich in abgehalfterten englischen Seebädern. In „Hear my song“ zeigte er die englisch-irische Connection, diesmal spannt er den Bogen gleich über den großen Teich, von Las Vegas nach Blackpool. In der Wüste von Nevada nämlich erlebt Tommy, der Sohn des großen John Fawkes, sein Waterloo, als ihm vom Papi erst die Show gestohlen wird und das Publikum über die eigenen Witze nicht lachen will. Er flüchtet nach Blackpool, seiner Geburtsstadt, und verlegt sich darauf, komische Acts für eine Show zu kaufen. Dabei stößt er auf die Familie Parker und erfährt von längst vergangenen Verstrickungen: Einst hatte sein Vater mit den Parker Brothers gearbeitet, war dann in die Staaten gegangen, hatte ihre besten Nummern gleich mitgenommen und vorher noch die Gattin des einen Herrn geschwängert. So wird Tommy unversehens mit seinem Halbbruder Jack konfrontiert, einem genialen Komiker, der allerdings auch eine tragische Geschichte hat, wurde er doch jahrelang auf der Bühne verheizt, bis er dann im Affekt seinen Sketchpartner tötete und dafür ins Irrenhaus kam. Nun ist er frei, aber er steckt in neuen Problemen: Ein Schmuggeldeal mit chinesischen Wachseiern und irgendeinem Wundermittel drin ist geplatzt, und Jack gerät zwischen die Fronten einer englischen und einer französischen Bande. Das Finale im Zirkus räumt jedoch mit einigen Verwicklungen auf.
Man sieht schon, dass eine ganze Menge Handlung drinsteckt in diesem Film. Zuviel für meinen Geschmack offen gesagt, zu viele Zufälle, zu viel Konstruiertes, zu viel Ballast, der nicht notwendig gewesen wäre. Als Ganzes funktioniert die Sache irgendwie nicht, die gleich viel eher selbst einer Vaudevilleshow, zerfällt in viele kleine Kabinettstückchen, die dann allerdings exquisit sind. Zwischen makabrer (manchmal auch zu blutrünstiger) Komik, hinreißenden Solonummern der lokalen Künstler und sehr viel britischer Skurrilität gibt es sehr viel Spaß, und die Altstars Caron und Lewis sorgen noch für einige Glanzlichter im schönen alten Schmierenstil. Nur Oliver Platt trägt seinem Nachnamen ein wenig Rechnung und fällt vor allem gegen den grandiosen Lee Evans, den Darsteller des Jack, stark ab. Jack ist es vor allem, der uns die Botschaft des Regisseurs nahebringt: Im Komischen liegt immer auch der Schrecken, die Angst, sogar das Grausame, und umgekehrt. Auf sehr verschiedene Weise wird uns dies im Verlauf des Films immer wieder vor Augen geführt: Erst scheitert Tommy in Las Vegas in einem jener schmerzlich grausigen Momente, vor denen man am liebsten die Augen verschließen möchte. Dann wird ein Mann durch eine Schiffsschraube gedreht (ein reichlich überflüssiger Horroreffekt übrigens) und stiftet nur in Form seiner beiden Füße noch reichlich Verwirrung. Bei Jack liegen Komik und Wahnsinn, Schmerz besonders dicht beisammen: Mal befindet sich die Eisenstange nur im Ärmel, mal dann doch in der hohlen Zeitung, die man dem Partner über den Kopf zieht. Eine alptraumhafte rückblende zeigt den Blackout des Jungen auf der Bühne, die Reaktion auf jahrelange Quälerei, auf eine alles umfassende Überforderung. In der stärksten, spannendsten Szene des Films am Schluss hockt Jack hoch oben auf einer Stange und starrt hinab aufs Publikum: Wild, herausfordernd, trotzig, aggressiv. Er hat die Menge zwischen Lachen und Entsetzen fest im Griff und verabreicht ihnen ein herbes Wechselbad. Es ist klar, dass er selbst auch innerlich auf der Kippe zwischen Leben und Tod steht, genau wie Tommy, der ebenfalls sterben möchte und sich plötzlich auch dort oben auf der Stange findet. Gerade als er herabzustürzen droht, fängt Jack ihn doch noch ab, macht ihm klar, dass die Leute ihn doch lieben. Da wallen die Gefühle reichlich hoch auf, aber die Spannung zuvor war doch beträchtlich, der schmale Grat zwischen Komik und Tod wurde wohl noch nie so sinnfällig wie in dieser Szene. Ein Film also durchaus mit viel Tiefgang, dazu mit liebevollen Milieuskizzen aus dem herrlich dekadent-vergänglichen Blackpool und seinen urigen Typen, und mit vielen witzigen Einzelepisoden. Ein organisches Ganzes ist dabei, anders etwa als in „Hear my song“, nicht völlig gelungen, mindestens eine Nebenhandlung ist zuviel, aber wenn man so mitten drin ist im Film, der äußerst turbulent und unterhaltsam gemacht ist, dann merkt man das auch gar nicht so. Chelsoms neuerliche Hommage an die geliebte Welt des Vaudeville ist so schwungvoll, dass einem die Mängel tatsächlich erst hinterher einfallen, und sie dann wohl auch nicht mehr so stark ins Gewicht fallen. (27.6.)