Heavenly Creatures (#) von Peter Jackson, Neuseeland, 1994. Melanie Lynskey, Kate Winslett, Sarah Peirse, Diana Kent, Clive Merrison
Neuseeland ist anscheinend eine Insel, auf der die menschliche Phantasie gar wunderliche Blüten treibt. Nicht nur Jean Frame ist dort ansässig mit ihren verschlungenen Erzählungen, nein, in den frühen Fünfzigern trug sich eine andere Geschichte zu, in der es gleich falls um Auswüchse der Imagination geht, diesmal nur leider mit traurigem Ende für andere Leute, während Janet Frame ja weitgehend selbst darunter zu leiden hatte, dass die Umwelt mit ihr nicht zurecht kam.
Juliet und Pauline freunden sich auf der Schule an, weil sie beide Außenseiterinnen sind: Juliet ist just mit ihren Eltern aus England gekommen, und Pauline war schon immer mürrisch und absonderlich. Juliet himmelt Hollywoodstars wie Mel Ferrer oder James Mason an, und beide Mädchen vergöttern Mario Lanza. Im Verlauf ihres immer häufigeren und engeren Beisammenseins spinnen sie sich ihre eigene Mythologie zurecht, ein Märchen von einer verwunschenen vierten Welt mit Schlössern, Königen und Einhörnern, eine Welt, die für die beiden oftmals greifbare Dimensionen annimmt, in Gestalt ihrer eigenen Tonfiguren lebendig wird. Eher aus Verwirrung schläft Pauline eines Tages mit einem Untermieter im Elternhaus, doch Juliet verdrängt den jungen Herren bald. Die Eltern beginnen, an der von ihnen als unnatürlich empfundenen Freundschaft Anstoß zu nehmen, trennen sie, und als Juliets Eltern sich scheiden lassen, soll das lungenkranke Mädchen zu verwandten nach Südafrika kommen. Paulines schon lange gegen ihre Mutter gehegte Aggressionen brechen endgültig durch, und die beiden töten sie schließlich brutal auf einem Ausflug. Nach ihrer Gefängnisstrafe von je fünf Jahren dürfen sie sich niemals wiedersehen.
Der sehr eindrucksvolle Film fährt auf zwei Ebenen: Zum einen beschreibt er die Atmosphäre im Christchurch der frühen Fünfziger: Tiefster, lieblicher, angelsächsischer Spießermuff, strikter Monarchismus, die Zucht der alten Kolonien und alles in allem ein so prüdes und restriktives Klima, dass ich mich wie immer in solchen Fällen fragen musste, wie die wohl ihre Kinder zuwege gebracht haben. In der Schule trägt man nicht nur Uniformen, sondern man verhält sich auch entsprechend, und zu Hause sind die Eltern entweder zu schlicht oder zu britisch-stiff (nur die upper lip wohlgemerkt), um pubertierenden und etwas romantisch veranlagten Töchtern Toleranz entgegenbringen zu können. Die andere Ebene lässt sich dann auf die Phantasiewelt der Mädchen ein, und hier geht Herr Jackson dann in die Vollen. Eine ebenso rasante wie äußerst suggestiv geführte Kamera rauscht mitten hinein in das traumschloss, mischt sich unter tanzende und kämpfende Tonfiguren, die im Traum der beiden Lebensgröße erreichen, lässt Einhörner und traumhafte Landschaften lebendig werden und lässt auch immer regelmäßiger den schwertbestückten Rächer aus dieser Welt übertreten in die wirkliche Welt, lässt den schwätzenden Psychologen, den sabbernden Priester oder die meckernde Mutter dahinschlachten. So geht ein zunehmender Realitätsverlust einher mit einer steigenden Gewalttätigkeit als hilflose Reaktion der Mädchen auf das Unverständnis, die Schikane der Eltern. Dieser Zusammenhang wird im Film plausibel und sehr einfühlsam beleuchtet, wobei sich der Regisseur nur streckenwiese auf die Seite der beiden schlägt, an anderer Stelle aber auch die Hilflosigkeit der überforderten Eltern, vor allem denen von Pauline, deutlich macht. Das Wort Homosexualität wird nur unter Krämpfen ausgesprochen und passt zum Horizont dieser Leute, die sich keine andere Erklärung für das enge Verhältnis der Mädchen zurechtlegen können, die in ihrer Verklemmtheit so sehr gefangen sind, dass sie nicht als Gesprächspartner für Pauline taugen können, die genau wie die beiden Mädchen im Grunde Opfer sind. Jackson als geübter Horrorfilmemacher beherrscht die Kunst der Suggestion naturgemäß gut, bringt die zunehmend bedrohlichen Phantasien, die immer realere Dimensionen annehmen, perfekt zum Ausdruck, und aus dieser Achterbahnfahrt zwischen zwei Welten, die zumindest für Pauline und Juliet zu einer zusammenschmelzen, bezieht der Film seien Faszination, seine intensive Wirkung, die umso größer wird, da sie eben mit den ironischen und sehr genauen Schilderungen der Umwelt der Mädchen kontrastiert. Die Effekte sind manchmal schon recht herb, doch die Sensibilität der Darstellung bringt alles rechtzeitig ins Lot, lässt Spekulatives jederzeit draußen vor, was auch für das sehr gute Spiel der beiden Darstellerinnen gilt. Wenn man Pauline zu Beginn in der Schule sieht, muss man an Janet Frame in Jane Campions Film denken: Genauso mürrisch, struppig, introvertiert, aus sehr einfachem Hause stammend, wo der Phantasie sehr enge Grenzen gesetzt sind. Janet Frame landete dafür im Irrenhaus, Pauline im Gefängnis. Scheint ja irgendwie so sein zu müssen auf dieser komischen Insel da unten. (18.4.)