Riget (Hospital der Geister) von Lars von Trier. Dänemark/Schweden/BRD, 1994. Ernst Hugo Järegaard, Kirsten Rolffes, Søren Pilmark, Ghita Nørby, Udo Kier

  Lars von Trier hat mit dieser Kinofassung seiner Fernsehserie mindestens zweierlei bewiesen: Zum einen, dass Krankenhausfilme oder eben -serien nicht gleich bodenlose Seifenopern zu sein bauchen, und zum zweiten, dass viereinhalb Stunden Kino auch sehr kurzweilig, aufregend und vergnüglich sein können. Zuletzt haben dies Leute wie Resnais oder Rivette demonstriert, also befindet man sich hier in illustrer Gesellschaft.

 

   Das monströse Krankenhaus in Kopenhagen ist auf schlingerndem Grund gebaut, auf einem alten Moorgebiet nämlich, in dem einst Färber mit Dämpfen und Feuchtigkeit ihr Handwerk verrichteten, und keine Mauer, so scheint es, kann diese alte Substanz auf Dauer bändigen, immer wieder treten Risse auf, werden Bordsteine unterspült, tritt irgendwo übler Geruch auf. Diese äußere Bedrohung geht einher mit innerem Zerfall, der wiederum mit der Geschichte des Hauses und, noch aktueller, mit seinen momentanen Beschäftigten zu tun hat. Ein Geist geht um, ein kleines Mädchen, welches einst vor fünfundsiebzig Jahren hier getötet wurde von seinem reichen Vater, der den unehelichen Balg vor der Welt verheimlichen wollte. Eine alte, spiritistisch begabte Patientin, die sich immer wieder als Simulantin einweisen lässt, um dann mit anderen Frauen die Geister zu beschwören, nimmt die Fährte des ruhelos klagenden Geistes auf und gibt nicht eher Ruhe, bis sie ihn mit Hilfe ihres hier im Haus angestellten Sohnes gefunden, seine Geschichte erfahren und ihn in Freiheit und Ruhe entlassen hat. Doch so einfach ist das doch nicht, denn die alte Geschichte hat längst auch andere ergriffen, und so endet der Film mit einer grässlichen Geburt, bei der wir nur den Kopf von Udo Kier sehen, der eben jenen Mörder spielt, der das kleine Mädchen einst vergiftete. Die Welt der Geister hat die reale Welt unterlaufen, sie gefährlich durchsetzt, und auf dem Weg der Wiedergeburt scheint die alte Geschichte eine düstere Fortsetzung zu finden: To be continued, schreibt von Trier am Ende. Aber auch die Intrigen und Machenschaften anderer sorgen für viel Unterhaltung: Das ist der schwedische Chefarzt, ein arroganter, umstrittener Stümper, der alles Dänische hasst und sich in schwachen Momenten aufs Dach des riesigen Krankenhauses begibt, sehnsüchtig nach Schweden blickt, die Namen heimischer Markenartikel (von Volvo bis Björn Borg) herbetet und die Dänen als Abschaum verflucht. Nach einem fatalen Kunstfehler gerät er auch hier unter Druck und am Ende wird er versuchen, per Voodoo von Haiti aus an seinen Verfolgern Rache zu nehmen. Da ist der Unterarzt, der im Keller ein ansehnliches Arsenal an Gegenständen gehortet hat, um es, wie er sagt, sinnvoll weiter zu verteilen, doch neben allem anderen destilliert er aus Resten auch Kokain und hat einen florierenden Handel aufgezogen. Da ist der Pathologe, der von dem ultimativen Karzinom träumt und sich, da er keine willigen Spender findet, selbst die krebsbefallene Leber eines Verstorbenen implantieren lässt und nun in seinem Todeswahn von dem triumphalen Auftritt fiebert. Da ist der Student, der es auf eine Ärztin abgesehen hat und sogar Köpfe abtrennt, um ihr nahezukommen.  Und da sind noch zahlreiche kleine Nebenepisoden, die immer wieder aufgegriffen und fortgeführt werden. Bei alledem ist der Film dennoch erstaunlich dicht, konzentriert und auch recht übersichtlich, denn die Handlung ist nie zu breit und zu kompliziert angelegt, immer sind die Personen sauber miteinander verzahnt, kann man jede einzelne Geschichte gut verfolgen. Im Keller, in der großen Küche, sind zwei offensichtlich Behinderte mit einem ewigen Abwasch beschäftigt, und ihre schwerfälligen Unterhaltungen bilden einen geisterhaft prophetischen Kommentar zu den Ereignissen dort oben. Eine geheimnisvolle Kraft bewegt die Menschen, regiert das Haus, seine monströsen Fahrstuhlschächte, die verwinkelten Gänge, die unheimlichen Keller, kurz das ganze gigantische Labyrinth, in dem sich immer irgendwo etwas verstecken, verbergen oder verschwinden lässt. Dies alles wird von einer, zugeben zunächst gewöhnungsbedürftigen wackeligen und körnigen Handkamera verfolgt, natürlich in den bei von Trier mittlerweile gewohnten Braun- und Gelbtönen und mit unkonventionellen Schnitten, die uns immer wieder überraschen und auch verunsichern. Stets ist man ganz dicht dran am Geschehen, läuft oder fährt mit und saugt vor allem die sehr spannungsgeladene Atmosphäre intensiv auf. Der Film ist sowohl außerordentlich komisch, manchmal natürlich recht makaber, als auch wohlig gruselig, wobei beides auf verbaler und auch auf rein physischer Ebene abläuft. Das spezielle dänisch-schwedische Verhältnis ist immer wieder Gegenstand herrlich bissiger Wortgefechte, und Frau Drusses beharrlicher Spürsinn sorgt für lustvolle Spannung, weil man natürlich mit ihr zusammen immer tiefer in die geheimnisumwitterte Innenwelt des Krankenhausmolochs vordringen möchte. Der bislang beste und bei weitem unterhaltsamste Film von Triers, der seine stets kreativen und bereichernden Ideen noch nie so publikumswirksam verpackt hat wie jetzt. (27.8.)