Kids (#) von Larry Clark. USA, 1994. Leo Fitzpatrick, Chloë Sevigny, Justin Pierce

   Ein Tag im Leben einiger New Yorker Kids, irgendwann am Anfang des Sommers: Telly entjungfert ein kleines Mädchen, und wie der Tag anfängt, so wird er auch aufhören, denn Entjungfern ist sein Lieblingssport, den er auch genau als solchen betreibt, ohne Gefühl, mit kalter Berechnung, mit immer den gleichen Phrasen, die die Ängste der Mädchen besänftigen. Zwischen diesen beiden Akten erfahren wir, dass Telly HIV-positiv ist, weil Jenny, mit der er mal gebumst hat, einen Test macht und in als den Verursacher identifizieren kann. Nur er weiß es natürlich nicht, und man fragt sich, ob es ihm großartig was ausmachen würde, denn Kondome hat er längst abgeschafft und zu irgendeiner Verantwortung will er sich noch weniger bekennen. Er träumt morgens und abends von Muschis, sie sind sein Lebensinhalt, und jeder „Erfolg“ gibt ihm neue Bestätigung, auch in der Clique. Die hängt irgendwo in Manhattan ab, dröhnt sich mit Alk, Klebstoff oder Gras zu, betäubt sich mit Rap oder Grunge, vermackert mal einen Passanten, wenn er ihnen dumm kommt, oder lagert bei jemandem zuhause ab. Es geht um Spaß, oder um ihre persönliche Variante dessen, und Spaß holt man sich mit Stoff, in Discos, auf Feten oder eben mit Girls bzw. Boys. Zu Beginn schneidet Clark hin und her zwischen einer Jungen- und einer Mädchenclique, die sich jeweils deftig über Sex unterhalten, elfjährige Machos mit Kinderkörpern und fünfzehnjährige Mädchen, die den Jargon erfahrener Frauen haben. Und so geht es weiter. Jenny läuft durch die Stadt, um Telly zu suchen und zu verhindern, dass er mehr Mädchen ansteckt. Sie kommt zu spät, denn auf der Party, wo sie ihn letztlich findet, hat er bereits ein neues Sportgerät aufgetan. Sie schläft ein, und als sie schläft, macht sich Tellys Freund Casper, ein ständig vollgedröhnter Säurekopf, über sie her, vergewaltigt sie regelrecht, um abschließend stumpf in die Kamera zu glotzen und zu fragen, was hier eigentlich los sei. Was hier los ist, kann eigentlich nur als eine abgründige, durch und durch erschreckende Leere bezeichnet werden, die dieser Film mit voller Härte rüberbringt. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst zu solchen Kids eigentlich keinen Kontakt mehr habe, und an ihre Umgangsformen also nicht gewöhnt bin, oder aber dass ich nur ein alter Moralist und Spießer bin, jedenfalls ging mir das Ganze doch ziemlich nahe, habe ich den Film teilweise als fast beängstigend empfunden. Ein fast dokumentarischer Realismus liegt in den Milieuschilderungen und den Schauspielern, die sich selbst oder zumindest ihresgleichen darzustellen scheinen. Die angesprochene leere zeigt sich in allem: In der Sprache, die nur eine Abfolge festgelegter, inhaltsloser Klischees ist, eine rohe Machosprache, in der Gefühle systematisch verdrängt werden, die ein jeder benutzt, um nichts von sich preisgeben zu müssen, ein hohler MTV-Slang aus dem Gameboyland, cool und trendy, hey Alter, what’s up? Und im sonstigen Leben natürlich auch, der Jagd nach Thrills, nach Stoff und Sex und nichts anderem. Niemand denkt nach, keiner hat Pläne und Ideen, alle wollen nur die fette, krasse Action, wollen ficken, schnüffeln, einfach Fun haben. Das hier ist kein spaßiger Teeniefilm mehr, eher eine Zustandsbeschreibung, die keinen moralischen Zeigefinger zu heben braucht, weil das, was sie zeigt, jeglichen Kommentar erübrigt. Gründe, Hintergründe und Erklärungen werden nicht angeboten, weil sich natürlich niemand gerne als jammernder Sozialpädagoge hinstellen lassen will, weil es zweitens hip ist, die Zustände einfach nur abzufilmen, und weil es drittens ehrlich gesagt auch ganz schön schwierig wäre, dahinter zu kommen. Die Perspektivlosigkeit dieser Kids jedenfalls ist irgendwie niederschmetternd, wobei man sie eben nicht mehr auf ein bestimmtes soziales oder ethnisches Milieu fixieren kann: Die Hautfarben mischen sich ebenso munter, wie die familiären Verhältnisse, mal ein bisschen wohlhabender, mal ein bisschen ärmer, aber in jedem falle übergreifend. Man fragt sich, wie zum Teufel man mit denen in einen Dialog kommen könnte, was man überhaupt tun könnte. Auch dazu sagt der Film nichts, wie sollte er auch. Er ist hart, direkt, sehr unverblümt und deshalb eine der interessantesten Amiproduktionen des Jahres, jedenfalls eine, die man nicht sofort nach dem Konsum vergessen hat, sondern die sicherlich ihre Spuren hinterlässt. (20.11.)