Lisbon Story von Wim Wenders. BRD/Portugal, 1994. Rüdiger Vogler, Patrick Bauchau, Vasco Sequeira, Ricardo Colares, Joel Ferreira, Madredeus

   Nach zwei mehr oder minder ungenießbaren Brocken hat unser aller Wim sich hier wieder eines etwas Leichteren besonnen, was immer dieses Wort für ihn auch bedeuten mag, jedenfalls ist dieser Aufguss hier unter zwei Stunden lang und er bemüht sich auch nicht alle zwei Minuten um ein bahnbrechendes, welterklärendes Statement und er ist auch nicht bis zum Tellerrand mit platten Symbolismen und pathetischem Wortschwulst à la Handke gefüllt.

   Phillip Winter, der einst bereits mit Alice in den Städten umherzog und der Solveig Dommartin bis ans Ende der Welt begleitete, muss diesmal dem Hilferuf eines Freundes und Filmemachers folgen, der in Lissabon mit den Bildern ringt und ihnen plötzlich keinen Sinn mehr beimessen kann. Winter soll also Töne zu den bislang stummen Aufnahmen aus der Stadt liefern, und so macht er sich auf, sucht die gleichen Plätze wie Friedrich, der verschwunden zu sein scheint, und unterlegt dessen hinterlassenen Film nach und nach mit den passenden Geräuschen. Als er den Freund am Schluss dann doch noch ausfindig machen kann, überzeugt er ihn mit Erfolg, weiterzumachen, den Bildern weiter zu vertrauen und mit dem herzen dabei zu sein, denn dann und nur dann wird das Kino auch nach hundert Jahren noch seinen Sinn behalten.

 

   Wenders‘ Gedanken zum Kino sind mir herzlich egal und obendrein banal, ebenso wie seine anfänglichen Pseudoreflektionen über Europa, die Winters Reise von Frankfurt nach Lissabon begleiten. Die verbale Ebene scheint ihm irgendwie verlorengegangen zu sein, viele Äußerungen geraten unweigerlich verschwommen bis platt, wie auch Manoel de Oliveiras Ausführungen über Gedächtnis und Bilder, die etwas zusammenhanglos mittendrin mal auftauchen. Aber mit den Bildern kann er nach wie vor eine Menge anfangen, und sie sind auch diesmal die große Attraktion hier: Eine wunderschön gefilmte Entdeckungsreise mit allen Sinnen, die Erschließung einer offensichtlich sehr schönen Stadt mit ihren Menschen, den Plätzen, den Geräuschen. Straßenbahnen, Scherenschleifer, Tauben, Brunnen, Waschfrauen, Kindergeschrei und dergleichen vermischen sich zu einem kompletten akustischen Porträt der Stadt, das Winter nach und nach mit Neugier vervollständigt. Die portugiesische Musikgruppe Madredeus sorgt darüber hinaus für magischen Wohlklang, der dem Film eine weitere hochästhetische Note verleiht. Vogler, der Hauptdarsteller vieler Wendersfilme, spielt seinen knautschigen Charme aus und ist ein sympathischer und vor allem angenehm unprätentiöser Held, dem man gern durch die Straßen Lissabons folgt, und so handelt es sich insgesamt um einen optisch und akustisch sehr delikaten Reisefilm mit einer unwesentlichen Geschichte drumherum, wobei mich die künstlerischen Qualitäten diesmal so überzeugt haben, dass ich die zudem hier nur recht dezent eingestreuten Verbalplattheiten locker überhören konnte, was ja auf die letzten beiden Ergüsse Wenders‘ absolut nicht zutraf. Vielleicht sollte er für uns auch weiterhin auf diese Art einfach schöne Orte auf der Welt, meinetwegen auch nur in Europa erkunden und all seine anderen Ambitionen zum Mond schießen, denn so recht vermag er damit ja ohnehin niemanden mehr zu interessieren. (19.7.)