Biódagar (Movie Days) von  Friðrik Þór Friðriksson. Island/Dänemark, 1993. Örevar Jens Arnasson, Rúrik Haraldsson, Sigrún Hjálmtysdóttir, Orri Helgasson, Asta Esper Andersen

   Die Skandinavier hatten immer schon eine besondere Gabe, Kindheitsgeschichten zu erzählen, ob nun in Literatur oder Film, besonders solche, in denen ein Kind mit den Komplexitäten der Erwachsenenwelt zurecht kommen muss. „Mein Leben als Hund“, „Mein großer dicker Vater“, „Der große Badetag“ sind einige der auch bei uns gelaufenen Beispiele aus den letzten zehn Jahren, und da gibt es bestimmt noch eine Reihe mehr, die man uns hierzulande leider vorenthält. Nun hat auch Herr Friðriksson aus Island seine persönliche Version seiner isländischen Kindheit in den Sechzigern vorgelegt und einen Film gemacht, der sich sowohl thematisch als auch qualitativ nahtlos einreiht die in große Gruppe seiner vielen Vorgänger.

   Island zu dieser Zeit bedeutet, die Invasion der Amerikaner und ihrer segensreichen Kultur auf die archaische und mehr als einfache traditionelle Lebensweise der Eingeborenen prallen zu lassen. Da wird in der Schulklasse plötzlich eine Pepsiflasche statt der üblichen milch als Schulspeisung auf den Tisch geknallt und ein Flaschenöffner erbeten. Da verdrängt der einzige Fernseher am Ort für die spannenden Kinder sonstige Attraktivitäten. Da sorgt der eifrig Geschlechtsverkehr treibende US-Soldat im Haus nebenan für die einzig ernsthafte Konkurrenz. Da schwenkt der Quotenkommunist am Ort Protestplakate gegen den Militärstützpunkt der Amis, um kurze Zeit später ebenso heroisch wie medienwirksam der Versuchung zur Spionage zu widerstehen und den bösen Russen eine Abfuhr zu erteilen. Und da gibt es vor allem das Kino mit all den wunderbaren Amischinken über Jesus, Hitler, den krieg und gruselig herumkriechende, abgehackte Hände. Auf Thomas machen diese Filme einen solchen Eindruck, dass der alte Knecht auf dem Bauernhof der Verwandten seines Vaters, die er für einen Sommer besuchen soll, schon arge Probleme kriegt, seine Trollgeschichten von anno dazumal noch an den Mann zu bringen. Aber trotzdem lernt Thomas in dieser zeit auf dem Land noch einiges dazu: Ein schmieriger Typ versucht, ihn ins Auto zu bugsieren in ziemlich eindeutiger Absicht. Ein unheimlicher Mann in Schwarz taucht auf und sorgt für allerhand Unruhe, bis er schließlich als Dämon betrachtet und vermittels alter Beschwörungen ausgetrieben wird. In einer benachbarten höhlenartigen Behausung lebt ein merkwürdiger Eremit und bietet Thomas halbverrottetes Schafsfleisch an. Und schließlich herhält Thomas die Nachricht vom Tod seines Vaters, der dann wieder an seiner Geburtsstätte in wilder Landschaft beigesetzt wird. Der Kummer sitzt tief, doch spätestens im Kino angesichts der kriechenden Hand und eines Zentners Popcorn vergisst Thomas alles um sich herum.

 

   Mal sehr humorvoll, mal melancholisch oder ernst, wie gehabt eigentlich, werden Themen zwischen Leben und Tod, Liebe, Sex, Familie, Politik und dergleichen angesprochen und in ihrer Wirkung auf Thomas beschrieben. Manches an den Erwachsenen ist noch reichlich diffus und widersprüchlich: Erst brüstet sich ein Typ, dauernd Frauen zu vögeln, vor denen selbst aber schämt er sich zu Tode. Und die genaue Abgrenzung politischer Zuordnung ist auch noch schwer genug: Wo steht der Kommunist der Nachbarschaft nun genau, warum hat er nicht spioniert, und dürften die Kinder bitte mal den Drehbleistift mit eingebauter Mikrofilmkamera sehen. Friðriksson zeigt Sensibilität und viel Humor, wenn es darum geht, die vielschichtigen Eindrücke zu zeigen, denen Thomas ausgesetzt ist, und die Art und Weise, wie er sich verarbeitet beziehungsweise im Kino einfach verdrängt, was ja im Falle des Todes seines Vaters wohl das Beste zu sein scheint. Die grandiose isländische Landschaft wird natürlich gebührend in Szene gesetzt, und ausreichend urige Leute tummeln sich ebenfalls auf der Leinwand, sodass für reichlich Unterhaltung gesorgt ist, die nach typisch skandinavischem Muster Komisches, Groteskes, mythisches und Ernstes so zusammenmixt, dass man nicht den Eindruck hat, lediglich ein geschöntes Stückchen Nostalgie vorgesetzt bekommen zu haben, sondern eine liebevolle und zugleich nachdenkliche Geschichte, sicherlich auch aus der eigenen Kindheit des Regisseurs. Und wenn Film auch nicht gerade wesentliche Neuheiten gegenüber anderen seines Schlages vorzuweisen hat, so hat er doch ein solches Niveau, dass ich mir auch bekannte Themen immer wieder gern ansehe. (19.4.)