Silent Tongue (Schweigende Zunge) von Sam Shepard. USA/Frankreich, 1993. Richard Harris, Alan Bates, Sheila Tousey, River Phoenix, Dermot Mulroney

   Seit Winnetou und Old Surehand nicht mehr für Ordnung sorgen, ist der alte Llano Estacado nicht mehr, was er mal war. Ein ganzer Haufen durchgeknallter Iren macht die Gegend unsicher, vergewaltigt verstümmelte Indianerinnen, verhökert dann die Töchter gegen Vierbeiner, oder befindet sich eben am anderen Ende dieses Tauschgeschäfts. Der eine Ire, volltrunken stets und von den Hügeln Donegals lallend, denkt nur an die Kohle, und der andere, weißhaarig und eigentlich ganz edel im Gemüt, braucht eine zweite Frau, um sein etwas verwirrtes Söhnchen vom Tod der ersten abzulenken. Die ihrerseits spukt als Geist in der Landschaft herum und stiftet zusätzlich Verwirrung, und auch ihre leibhaftige Schwester kann gegen ihren Zauber wenig ausrichten. Am Schluss muss Paps also die Leiche ins Feuer schmeißen, um die Seele der Toten freizugeben und Ruhe zu stiften. Aber in der Prärie ist es mittlerweile ziemlich überlaufen: Gaukler ziehen führer- und richtungslos durch die Lande, der saufende Ire wird von Indianern geschnappt und geht vermutlich einem hässlichen Ableben entgegen, ein Einsamer zieht einen Karren von nirgendwo nach nirgendwo, und Vater und Sohn taumeln aufeinander gestützt und mit stierem Blick in die andere Richtung, einfach so durchs kniehohe Gras.

 

   Sam Shepard, der amerikanische Intellektuellenmacho, hat, wenn ich alles richtig kapiert habe, versucht, amerikanische Mythen mit europäischem Kunstgedankentum aufzumöbeln, und lässt dort in den Weiten der Prärie ein tiefsinniges und wahrhaft universales Drama aufführen. Schuld und Sühne, Schändung, Rache, Ehre und dergleichen pompöse Begriffe segeln dem angestrengten Zuschauer durch den Kopf, nur irgendwie wollen sie nicht recht zusammenkommen, und erst recht machen sie keinen spannenden, interessanten Film. Die Handlung trudelt ohne Höhepunkte und ohne jede dramaturgische Abstufung dahin, beobachtet mal den Zirkus, mal den Vater und seinen trauernden Sohn mitsamt Gespensteranhang und mal das andere Vater-Sohn-Paar, das nun auf der Suche nach der zweiten Tochter ist, die leider ohne Entrichtung des branchenüblichen Entgelts von vier Pferden stibitzt wurde. Es wird dabei sehr viel geredet, aber unter dem Strich sind die Einsichten bei weitem nicht so spektakulär, wie uns das der Herr Shepard vielleicht glauben machen möchte. Dass die Indianer von den Weißen in jeder Hinsicht vergewaltigt worden sind, ist glaube ich nicht ganz neu und bedarf auch eigentlich keiner symbolischen Umschreibungen mehr. Dass viele Weiße ausgerechnet dafür leiden und sühnen mussten, ist vielleicht ein Kunstgriff und ein Wunschgedanke des Autors. Und dass die Indianer außerhalb des Begriffsvermögens der Bleichgesichter noch auf einer anderen, spirituellen Schiene fahren, hat man da und dort ebenfalls schon gehört. Nichts ist hier also neu, aber auch das Altbekannte wird so unoriginell und wenig aufregend und eindringlich präsentiert, dass ich bereits nach recht kurzer Zeit den Abspann herbeisehnte. Und was Shepards intellektuelle Ambitionen angeht, so können die doch nur für unfreiwillige Komik sorgen, oder? Das Schlussbild, ein relikt des absurden Theaters mit drei Personen (Männern natürlich bei Shepard!), die einfach geradeaus ins nichts gehen, ist platt und in diesem Kontext leider auch völlig bedeutungsleer. Die Bergmananleihe mit den Gauklern, die am Horizont entlangziehen, macht sich hier auch irgendwie eher pathetisch und wird ansonsten wenig weiterentwickelt. Ein Film also, der sich anspruchsvoll gibt, aber weder psychologisch irgendwie vertieft oder ansprechend ist noch unterhaltsam, und eines von beidem hätte er schon sein müssen. So aber ist das kompletter Murks, bei dem mir nur zwei Mitspieler leidgetan haben: River Phoenix war es leider nicht vergönnt, in einem besseren Film abzutreten, und der alte Llano Estacado wurde wieder für unmäßig viel Albernheiten missbraucht. Hoffentlich hat er jetzt erst für ein paar Jahre Ruhe. (13.2.)