Smoke (#) von Wayne Wang. USA, 1994. William Hurt, Harvey Keitel, Stockard Channing, Victor Argo, Forst Whitaker, Erica Gimpel, Clarice Taylor, Harold Perrineau
Die Welt ist klein und irgendwie ganz gemütlich in diesem Film: Ein paar Straßenzüge in Brooklyn, rund um Auggies Tabakwarenladen, in dem sich die traute Nachbarschaft trifft zu einem Klön über Baseball, Zigarren oder derlei wichtige Themen. Paul Benjamin, der Schriftsteller mit Schreibsperre nach dem gewaltsamen Tod seiner Frau ist regelmäßiger Gast dort, und um ihn und Auggie spinnen sich die Geschichten, die hier geschickt ineinander verflochten erzählt werden. Paul trifft einen jungen Schwarzen, Thomas, Kampfname Rashid, der ein bisschen Ärger mit ein paar schweren Jungs hat. Außerdem sucht er seinen Vater Cyrus, den er schließlich draußen auf dem Land in einer Tankstelle findet. Auggie peilt ein großes Geschäft an, das ihm aber Rashid irrtümlich vermasselt, doch die fünftausend Dollar kann er ihm zurückgeben. Das Geld wandert weiter zu einer Verflossenen Auggies, die nach fast zwanzig Jahren wieder aufkreuzt und behauptet, ihre gemeinsame Tochter, von deren Existenz der gute Mann zum ersten Mal hört, sei in Schwierigkeiten. Am Ende fügt sich alles halbwegs harmonisch zusammen, und Auggie erzählt Paul eine gute Weihnachtsgeschichte, die der dann an die New York Post verkauft.
Ich denke, es kommt in diesem Fall darauf an, welche Maßstäbe man an den Film anlegt, und je nachdem wird das Urteil ausfallen. Die, die ihn an der harten Realität Brooklyns und New Yorks generell messen, werden ihn automatisch zu harmonisch, zu nett, zu optimistisch, zu schönfärberisch und brav finden. Kein Wunder, denn fast alle Probleme lösen sich hier, trotz gelegentlicher Einbrüche von Gewalt, Drogen und anderer Sorgen, doch die Menschlichkeit, die Freundschaft, die Verlässlichkeit und das gegenseitige Vertrauen behalten die Oberhand. Wo gibt es das noch in dieser ach so krisengeschüttelten Welt? Vergleicht man „Smoke“ hingegen mit dem Auswurf, der sonst allwöchentlich über den großen Teich gekrochen kommt, fallen doch Unterschiede auf, die einen einfach für den Film einnehmen müssen. Keine protzige Hightechshow, keine schleimigen Patriotismusappelle, keine Gewaltorgien mit Trashappeal, sondern schlichtes, konzentriertes, hochintensives Erzählkino der klassischen, wenn auch manchmal etwas gediegenen Art. Sicherlich ist das manchmal ein bisschen zu gut gemeint, aber andererseits packt jeden von uns ja dann und wann mal die große Sehnsucht nach der kleinen, heilen Welt, in der man seine Freunde hat, wo man sich trifft, wo noch Zeit ist zum Reden, zum Zuhören, einfach zum Beisammensein, kurz, wo es all das gibt, was es eigentlich eben nicht mehr gibt. Diese Sehnsucht muss erlaubt sein, zumal ihr nicht mehr allzu viel Platz eingeräumt wird, auch nicht im heutigen Kino, und ein Film, der sie zum Ausdruck bringt, hat allein deshalb schon seine gute Berechtigung. Außerdem hat er zwei Schauspieler wie William Hurt und Harvey Keitel, zwei echte Charakterköpfe, die so eine Sache schon mal ganz allein tragen können, und es auch diesmal tun mit viel Charisma und verschmitztem Humor, mit sichtlicher Freude am vielen Erzählen, an der Alltäglichkeit, an der entspannten Lockerheit des Ganzen. Man hat Zeit, ihre lebhaften, ausdrucksvollen Gesichter zu studieren, sich am Reichtum ihres Mienenspiels zu erfreuen und sich ihre Geschichten anzuhören. Es geht darin zumeist um elementare Dinge, Liebe, Tod, die Suche nach dem Vater, das Altern, die Einsamkeit und dergleichen mehr. Aber manchmal geht es eben auch um die Geschichte des Rauchens oder um die schärfste Chilischote New Yorks, je nachdem. Dazu gibt es eine ganz schlichte, aber sehr konzentrierte Kamera und sehr viele schöne Großaufnahmen, was sich bei einem so markanten Typen wie Forest Whitaker überaus positiv niederschlägt. Ein Film, der das Spannende im Alltäglichen gesucht und gefunden hat. Wie heißt es dann immer so schön? Eine echte Rarität. Und Auggies Idee, die Ecke mit dem Tabakladen jeden Morgen, Tag für Tag, Jahr für Jahr um exakt dieselbe Zeit zu fotografieren, und so den ganz langsamen Lauf der Zeit einzufangen, ist ja auch schon eine hübsche Episode wert, gelt. (25.10.)