Underground (#) von Emir Kusturica. Frankreich/BRD/Ungarn, 1995. Miki Manojlovic, Lazar Ristovski, Mirjana Jokovic

   Fünfzig Jahre jugoslawische Geschichte, inszeniert als überschwappendes, apokalyptisches absurdes Theater, das drei volle Stunden lang voll auf uns niederhagelt und so manchem westeuropäischen Kritiker glatt die Sinne verwirrt zu haben scheint. Jener Widerspruch, der Kusturicas Films als serbisch-nationales Epos verurteilt und ihm Einseitigkeit und Geschichtsklitterung vorhält, geht nach meiner Ansicht vollkommen am Film und seinen Absichten vorbei. Kusturica zeigt sich nicht daran interessiert, im aktuellen Krieg Position zu beziehen, er zeigt Historie als ununterbrochene Reihung von Gewalt, Krieg, Verrat, Lüge und Heimatlosigkeit. Zwei Freunde schlagen sich, als Jugoslawien 1941 in die Hände der Nazis fällt, mit Schiebergeschäften durch und machen den deutschen Besatzern das Leben schwer. Blacky ist dabei der lautstarke Ideologe, der jedem Gegner einen offenen Kampf bietet, und Marko der gerissene Taktierer, der aus jeder neuen Situation seinen Nutzen zieht. Er befreit Blacky und dessen Geliebte Natalia aus den Folterstätten der Nazis und schafft sie in ein unterirdisches Versteck, wo er nach und nach eine ganze Sippe treu zusammenhaltender kommunistischer Widerstandskämpfer versammelt. Als der Krieg aus ist und Tito an die Macht kommt, ergattert Marko einen guten Posten im neuen Regime und angelt sich nebenbei Natalia. Den Menschen im Keller wird er noch fast zwei Jahrzehnte lang vorgaukeln, der Krieg dauere an und man müsse reichlich Waffen für die Genossen produzieren. Diese Waffen verramscht Marko dann gewinnbringend und macht sich eine nette Zeit. Als dann die Fassade bröckelt, kommt es zum Desaster, das die Freunde endgültig trennt und die ganze Gemeinschaft gewaltsam auseinandersprengt. Viele Jahre später trifft man sich im krisengeschüttelten Ex-Jugoslawien wieder: Blacky als verwirrter Soldat, der noch immer gegen die Faschisten kämpft und seinen ertrunkenen Sohn sucht. Marko als rollstuhlfahrender, zynischer Geschäftemacher und Natalia als gealterte Diva im Mercedes. Die beiden müssen schließlich sterben, auf Blackys Befehl, nach dem sämtliche Kriegsgewinnler sofort zu töten seien. Als Blacky erkennt, wer dort gestorben ist, träumt er sich in seinem Schmerz in eine andere, alte und zugleich neue zeit hinein, da man wie einst zusammen feierte, trank, musizierte und lachte, und am Schluss treibt die Menschengruppe auf einem Stück Land fort, auf der Suche nach einer neuen Heimat.

 

   Kusturicas übermächtige Lust am Fabulieren, am Maßlosen und monströsen, sein Hang, jede kleine Einzelheit auszuschlachten, hat letztlich verhindert, dass der Film so gut ist, wie er vielleicht hätte werden können. Eine ganz Stunde, so denke ich, ist insgesamt überflüssig, zwei hätten auch gereicht, ohne dass wichtige Substanz verloren gegangen wäre. Die erste Stunde ist nach einem etwas zähen Start fabelhaft, eine makabre, rabenschwarze und gallenbittere Kriegsfarce, randvoll mit groteskem Humor und einem Umgang mit dem Entsetzen, der zumindest Geschmackssache sein dürfte. In der typischen Tradition osteuropäischer Filme nähert sich auch Kusturica all dem Leid, der Verzweiflung, dem Zusammenbruch als grimmiger, bissiger Spötter. Auch die Idee mit dem großen Keller, in dem die Widerstandskämpfer jahrelang ein Scheindasein führen, ist durchaus brillant, nur disintegriert die Erzählstruktur in der zweiten Hälfte zunehmend, zerfasert in allzu viele Details und Nebenhandlungen. Ein Film wird über den Märtyrer Blacky gedreht, Realität und Fiktion geraten mehr und mehr durcheinander, und als Blacky und sein Sohn nach fünfzehn Jahren Unterwelt wieder an Tageslicht kommen, stürzt sich Kusturica mit vollem Elan in eine wilde Geschichte, die mystisch endet. Der dritte Teil, der in der Jetztzeit angesiedelt ist, hat dann nichts mehr von dem wüsten Humor, dem groben Charme vorherige Sequenzen. Das Entsetzen über die völlige Zerstörung des Landes ist den Szenen deutlich anzumerken, nur fehlt Kusturica der Mut, sie genauso durch seine Mühle des Grotesken zu drehen, wie jene alten Nazi- und Tito-Geschichten, die eben in sicherer Vergangenheit liegen. Sein Film ist teilweise vortrefflich gestaltet, teilweise einfach auch zu nervig, zu laut und voll, weil der gute Mann natürlich auf keinen Effekt verzichten konnte. Die drei Hauptdarsteller sind schlicht genial und machen vieles, was sonst vielleicht platt und geschmacklos gewesen wäre, noch zu einem Spaß am Abgrund. Aber das Moderate und Disziplinierte ist Kusturicas Sache nicht, er geht immer in die Vollen und stellt sein Temperament als Regisseur gern unter Beweis. Kein Wunder, dass ihm der Film trotz vieler bemerkenswerter Ideen und Einzelheiten immer wieder aus dem Ruder läuft. Wie sagt man dann so schön: Weniger wäre mal wieder mehr gewesen. (26.11.)