Vanya on 42nd Street (Vanya – 42. Straße) von Louis Malle. USA, 1994. Wallace Shawn, Julianne Moore, Larry Pine, Brooke Smith, George Gaynes, Lynn Cohen, Jerry Mayer, Phoebe Brand, André Gregory

   Wenn ein Film zeigt, wie eine New Yorker Theatertruppe, die von André Gregory nämlich, ein Theaterstück in einem alten Haus im Broadwaybezirk einübt, dann erwarte ich irgendwie, dass weniger das Stück selbst, als die Erarbeitung der Aufführung im Mittelpunkt steht, dass man vielleicht noch etwas über die Schauspieler erfährt, über ihr Verhältnis zueinander, und in diesem Falle auch noch ein paar Impressionen vom Spielort, einem schönen aber stark baufälligen alten Theater auf besagter 42. Straße mitbekommt. Nichts von alledem will uns Louis Malle hier gönnen, leider. Mein Pech, müsste ich mir sagen, wieder mal ein Fall verquerer Erwartungen. Alles kein Problem, solange der Film Qualitäten aufweist, die für diesen Irrtum entschädigen, aber dieser neue Louis-Malle-Film hat diese Qualitäten zu meiner großen Enttäuschung nicht. Fast zwei Stunden lang wohnen wir hier einer kompletten Aufführung des alten Tschechow-Stücks bei, und es gibt nur eine absolut minimale Rahmenhandlung, die es fast nicht verdient, als solche bezeichnet zu werden: Man trifft sich vor dem Theater, stellt es kurz einem neuen Gast vor (hier hat Ziegfeld einst mit seinen Follies getanzt usw.), steht in den Pausen am Buffet zusammen, aber das ist alles, kaum Gespräche, keinerlei Diskussionen mehr über das Stück, über Nuancen, über Sprech- oder Spielweise, na klar, es ist ja auch eine Generalprobe. Schade, kann ich nur sagen, dass sich Malle für die entschieden hat, und nicht für eine ganz normale Probe, das wäre hundertprozentig viel spannender gewesen. So lernt man die Schauspieler nur als solche kennen, aber nicht als Privatpersonen und erfährt auch nichts über all jene zwischenmenschlichen Dinge, die oft für die spezielle Chemie einer Theatertruppe verantwortlich sind. Und selbst damit hätte ich noch leben können, wenn sich die Leute denn für ein anderes, vielleicht ein unterhaltsameres Stück entschieden hätten, aber nein, Tschechow muss es sein. Ich habe gar nichts gegen Tschechow und habe schon ein paar ausgezeichnete Inszenierungen seiner Klassiker gesehen, aber im Theater selbst ist das eine andere Sache, das habe ich jetzt auch mal umgekehrt erfahren können. Da sitzt man zumeist in einiger Entfernung von der Bühne, kann diese als ganzes überblicken und hat schon von daher eine gewisse erleichternde Distanz zum Geschehen. Malle hat nun aber seine Kamera mitten unters Volk geworfen, rückt den Figuren oft maximal auf den Pelz, was in anderen Fällen ja auch gut und schön ist, aber diesmal nicht. David Mamets Bearbeitung konnte oder wollte dem Stück nichts von seiner drückenden Schwere nehmen, hat sie in meinen Augen fast noch betont, und so wird man quälenden Existenznöten, von deprimierender, aussichtslose Einsamkeit, Leere, Liebelosigkeit und dergleichen schön systematisch in den Abgrund gezogen, wie in einem schlechten Woody-Allen-Film oder einem Bergman-Film ohne filmische Mittel, falls es so einen überhaupt gibt. Malle hat von sich aus nichts unternommen, um diese lastende Psychowucht aufzulockern, und das hat mich am stärksten enttäuscht, er filmt die Aufführung lediglich ab, und damit hat es sich. Ohne die ihm sonst so reichlich zu Gebote stehenden filmischen Ausdrucksmöglichkeiten lichtet er Theater als solches kommentarlos ab, und das hat mir in diesem Fall nicht sehr behagt. Zudem empfand ich auch die Schauspieler längst nicht in jeder Hinsicht als gut, vor allem Wally Shawn, der immer irgendwie einer Witzfigur ähnelt, ganz gleich was er tut oder sagt, bewegt sich oft hart am Rande unfreiwilliger Komik, wobei er ja für sein Äußeres gar nichts kann, aber ich mich fragte, weshalb er dann diese Rolle annahm. Der Ehrgeiz vermutlich. Auch die anderen bilden nicht unbedingt ein Team aus einem Guss, sodass diese ganze Sache für mich von vorne bis hinten recht unbefriedigend und über weite Strecken recht ermüdend und langwierig wirkt. Ein Theaterfilm, der die Möglichkeiten des Mediums gänzlich ignoriert und sich auf das Werk an sich verlässt, was er diesmal besser nicht hätte tun sollen. Rivette hat es einst vorgemacht, indem er Kunstwelt und reale Welt einander verwirren und beeinflussen ließ, indem er die Konflikte aus beiden Ebenen zusammenführte und zeigte, wie eng sie doch zu Zeiten verknüpft werden können. Malle Film bewegt sich nur auf einer Ebene, und die kommt extrem dröge und schwermütig daher, zuviel für meinen Geschmack. Wieder einmal ist er neue Wege gegangen, aber auch diesmal, wie schon einige Male zuvor, ohne Erfolg, jedenfalls nicht bei mir. (15.5.)