When night is falling (#) von Patricia Rozema. Kanada, 1994. Pascale Bussières, Rachael Crawford, Henry Czerny, Don McKellar

   Vor reichlich sieben Jahren lief Rozemas „I’ve heard the mermaids singing“ bei uns in Kino, eine zauberhafte, verträumte, romantische Großstadtgeschichte mit fließenden Grenzen zwischen Illusion und Wirklichkeit. Diese Attribute lassen sich auch auf dieses neue Werk anwenden und sie sorgen für den gleichen Lustgewinn. Wieder stehen Frauen im Mittelpunkt, wieder geht es um Liebe, Sehnsüchte und die Suche nach ihrer Verwirklichung. Camille unterrichtet Mythologie an einem christlich geprägten College und scheint an der Seite ihres ehrgeizigen Freundes einer satten Karriere entgegen zu streben. Als sie im Waschsalon die Performancekünstlerin Petra kennenlernt, ist das Interesse zunächst ganz einseitig: Petra vertauscht die Wäsche, um die Schöne wiedersehen zu können, doch ihre ersten Annäherungsversuche werden brüsk abgewiesen. Langsam kommen sich die Frauen dann doch näher, zerbröckelt Camilles Lebensplan. Mit ihrer wachsenden Liebe zu Pera gerät sie aber auch in eine innere Gewissenskrise, die sie fast in den Tod treibt. Doch sie kann gerettet werden und fährt mit Petras Zirkus einer neuen Zukunft in San Francisco oder Chicago oder sonstwo entgegen.

 

   Am Schluss geht es dann doch etwas arg melodramatisch zu: Camille kann gerade noch vor dem drohenden Erfrierungstod bewahrt werden, ihr frustrierter Ex-Freund Michael scheint vielleicht auch eine neue Frau zu finden, und als am Schluss alles ein wenig mehr ins Mystische abhebt, erwacht sogar Camilles zuvor verstorbener Hund zu neuem Leben, und zumindest dies hätte sich Rozema für meinen Geschmack sparen können. Die Geschichte ist nicht neu, ist auch nicht sehr originell, aber die beiden Hauptfiguren sind es, und sie werden hervorragend gespielt, und außerdem inszeniert Rozema mit soviel Inbrunst und Gefühl, dass man einfach mitgehen muss, dass man einfach hingerissen ist von einer ungeniert romantischen, schönen Liebesgeschichte. Petras Milieu der Zirkuswelt mit seinen Tricks, Illusionen und Zauberkunststückchen bietet einen illustren und verwunschenen Hintergrund für die Handlung, und in einer sehr schönen und auch sehr erotischen Montagesequenz wird die erste sexuelle Begegnung der beiden zusammengeschnitten mit einer sehr ästhetischen Trapezdarbietung zweier Künstlerinnen. Hier werden die großen, überirdischen, traumhaften Gefühle angesprochen und kongenial in Szene gesetzt, während Camilles Milieu, das traditionsbewusste christliche College, eher blass bleibt, nicht sonderlich tiefgründig ausgelotet wird, ebenso wie es mir irgendwie schwergefallen ist, sie überhaupt in dieser Umgebung zu sehen, als pflichtbewusste eifrige Aufsteigerin und dann auch noch mit religiösem Hintergrund. Auch ihre sexuelle Identitätskrise, wenn es denn eine gegeben haben sollte, wird nicht eigentlich zum Thema des Films, sodass man sagen könnte, Rozema sei es weniger und realistische und psychologisierende Milieu- und Charakterschilderungen gegangen als vielmehr um einen durch und durch sinnlichen, allein die Emotionen ansprechenden Stil, und das ist ihr in jeder Form perfekt gelungen. Die Bilder sind so schön, die Musik ist auch so schön und die Schauspieler sind wie gesagt so gut, und alles ist sowieso so hemmungslos verliebt und romantisch, dass man die kleinen Einwände rasch vergisst und auch vergessen möchte, denn das hier ist ein Film zum Genießen und Mitfühlen, nachdenken kann man später, und außerdem ist diese intime, zärtliche Lovestory zehnmal intensiver und individueller als einiger jener yuppiemäßig gestylten Episodenfilme aus Kanada, über die ich mich in diesem Jahr schon ärgern durfte. Interessant wäre es vielleicht, anhand dieses Films mal wieder über die Charakteristika weiblicher Ästhetik, auch und vor allem erotischer Ästhetik zu reden. Gewisse Kreise dürften wohl die Nase rümpfen über den glatten Vanillesex, der hier vorgestellt wird, andere werden sich fragen, ob Männer das nicht ganz genau so gemacht hätten. Ich meine schon, dass da ein Unterschied ist, ein schwer greifbarer allerdings, der wohl eher die tieferliegenden Instinkte und Gefühle anspricht. Rozema macht bestimmt Filme vor allem für Frauen, aber sie scheint selbstbewusst genug, dies nicht explizit auf jedes Bild schreiben zu müssen. Mir jedenfalls hat das gut gefallen und ich hoffe doch, dass nicht wieder sieben Jahre bis zum nächsten Mal ins Land gehen werden. (13.7.)