"Angel Baby" (#) von Michael Rymer. Australien, 1995. John Lynch, Jacqueline McKenzie, Colin Friels, Deborra Lee-Furnes, Daniel Daperis

Harry und Kate leiden unter Psychosen und lernen sich in einer Therapiegruppe kennen. Beide haben Narben an den Handgelenken - ihre laufen quer zur Ader, seine längs, aber sie haben es überlebt. Er lebt mit der Familie seines Bruders, sie, als Kind vom Vater mißbraucht und mißhandelt, hat keine Familie mehr. Er verliebt sich sofort leidenschaftlich in und bald erwidert sie seine Gefühle. Sie ziehen zusammen, er findet wieder einen Job in der Computerbranche und sie wird schließlich schwanger. Doch die kosmischen Zeichen, denen vor allem sie so vertraut, wenden sich bald gegen das Glück: Er verliert seinen Job, beide haben Rückfälle in die Krankheit, die Schwangerschaft und die bevorstehende Geburt werden zu einem immer größeren Risiko. Das Baby, ein Mädchen, übersteht die Entbindung schließlich, aber Kate nicht - sie verblutet. Eine Liebesgeschichte zweier Außenseiter - gefühlvoll, bewegend, traurig und schön. Außerdem eine Geschichte voller Kämpfe: Harry kämpft um Kates Liebe, gemeinsam kämpfen sie sich aus ihrer Apathie und emotionalen Isolation, weiter kämpfen sie unentwegt um gesellschaftliche Anerkennung und Toleranz, die sie unbedingt brauchen, sie kämpfen um gegenseitiges Vertrauen, sie kämpfen gegen die drohende Krankheit, gegen das Untergehen in der Psychose, gegen die schrecklichen inneren Stimmen, gegen die Angst vor anderen Menschen, gegen die bösen Erinnerungen aus der Vergangenheit und um einen Platz in der Zukunft. Und zuletzt kämpfen sie um Kates Leben. Nicht alle Kämpfe verlieren sie, aber doch viele, und trotzdem ist dies keine düstere Tragödie, sondern bei allem schlimmen Schicksal auch ein Film der Ermutigung zum Weitermachen und auch Weiterkämpfen. Mit zunehmender Dauer gewinnt die Erzählung an Dichte und Komplexität, spätestens als klar wird, daß Harry und Kate die Dämonen ihrer Krankheit nicht so einfach hinter sich lassen können. Ein jäher Zusammenbruch Kates im Supermarkt offenbart schockierend und unerwartet die ganze Brüchigkeit dieses Lebens, das sich ständig auf einem schmalen Grat zwischen zwei Welten bewegt. Jeder Absturz zur falschen Seite ist ein Rückfall, den zu überwinden Wochen, Monate dauern kann. Harry scheint äußerlich der Stabilere zu sein, ist entschlossen, es endlich ohne Psychopharmaka zu versuchen, doch als er seine Stellung verliert, verliert er auch die Fassung und alles, was er sich mühsam aufgebaut hatte, ist dahin. Zurück zur Therapie, zurück zu den Pillen, ohne die es scheinbar doch nicht geht. Wie kaum ein anderer Film verdeutlicht dieser die Problematik der Lebensfähigkeit, der Alltagsbewältigung, auch der Stellung psychisch Kranker in einer oberflächlich gesunden Gesellschaft. Selbst ein so liebevolles, fürsorgliches Umfeld wie es Harry bei seinem Bruder vorfindet, kann ihn letztlich nicht retten, er bleibt in sich verschlossen, der Krankheit ausgeliefert. Kate ihrerseits hat sich an eine künstliche Gottheit verschrieben, die sie Astral nennt und die ihre sich stets erfüllenden Botschaften und Prophezeiungen verschlüsselt per TV-Gameshow übermittelt. Ihr Leben scheint fremdbestimmt, nicht von ihr gelenkt, weil sie nie lernen konnte, es selbst in die Hand zu nehmen. Haß, Gewalt und Ablehnung haben jegliches Selbstvertrauen und jede Initiative in ihr vernichtet, und erst Harrys bedingungslose, hartnäckige und begeisterte Liebe gibt ihr neue Kraft. Ein von zwei tollen Darstellern wunderbar intensiv gespielter und sehr ausdrucksvoll inszenierter Film, der sich auf die Wahrnehmung der beiden ohne billige Effekthascherei einläßt und seine Liebe und Solidarität ohne Pathos ausdrückt, der viel zu sagen hat, ohne damit großspurig anzugeben. (18.4.)