"Antonia" (Antonias Welt) von Marleen Gorris. Niederlande/Belgien, 1995. Willeke van Ammelrooy, Els Dottermans, Veerle van Overloop, Thyrza Ravesteijn, Mil Seghers, Jan Decleir, Marina de Graaf

Am Ende des 2. Weltkriegs kehrt Antonia passend zum Tod der Mutter zusammen mit ihrer Tochter Danielle zurück in ihr ländliches Heimatdorf, richtet sich auf dem alten Bauernhof neu ein und baut ihre Welt um sich herum auf. Hier finden alle einen Platz, die auch einen Platz in ihrem Herzen haben: Außenseiter, Wunderlinge, Verstoßene, Philosophen, Expfarrer, Mondsüchtige, Liebeskranke, doch vor allem Frauen. Eine Generation folgt der anderen, und als Antonia am Ende eines erfüllten Lebens stirbt, darf sie sicher sein, daß ihr Geist fortleben wird.

 

Der Zyklus des Lebens wird also besungen, der ewige Wechsel der Jahreszeiten, der unabänderliche Ablauf des Schicksals, wo Geburt und Tod, Liebe und Zerstörung, Toleranz und Gewalt so schmerzhaft dicht beieinander liegen. Da gibt es heitere und traurige Geschichten zu erzählen, skurrile und tragische, Geschichten aus dem Leben der kleinen Leute, die sich gleichsam verdichten zu einer Chronik menschlicher Existenz. Der Fokus liegt auf den Frauen, sie sind es, die schaffen, die prägen, die bleiben, die die Kraft zum Überleben haben. Männer tauchen als Befruchter oder  Begleiter auf, doch die Rolle der Schöpfer fällt ihnen dabei nicht zu, was Kreativität und Konstruktivität angeht, können sie mit den Frauen nicht mithalten. Antonia zieht eine bemerkenswerte Dynastie heran: Ihre Tochter ist Malerin, ihre Enkelin eine genial begabte Mathematikerin und Musikerin, und aus der Urenkelin verspricht ebenfalls ein aufgewecktes Mädchen zu werden. Daß sie kämpfen und leiden müssen, ist eine zwangsläufige Folge. Unverständnis und Feindseligkeit schlagen der konventionsbrechenden Kommune zunächst in der beschränkten, konservativen Bauerngemeinde entgegen, und manchmal entlädt sich männlicher Frust in brutaler Gewalt. Marleen Gorris hat allerdings kein Thesen- und Kampfpamphlet daraus gemacht, sondern ein Plädoyer für das Leben, für die Kraft, die von innen kommt, für Liebe, Offenheit und Toleranz, und gegen Rache und Vergeltung. Manche Dinge muß man als unabänderlich hinnehmen, doch Zuversicht, Lebenslust und Optimismus dürfen nicht darunter leiden. Ein Film mithin über elementare Dinge, gefühlvoll,  sehr schön gefilmt und manchmal mit überraschend frechem und auch makabrem Witz, aber über die ganze Strecke ein wenig zu brav, zu gut gemeint und allzu monoton in der Chronologie. Das Sammelsurium liebenswerter und merkwürdiger Typen ist deutlich an literarischen Vorbildern orientiert, wie überhaupt die ganze Konstruktion die Züge einer großen Utopie trägt. Wer hat sich nicht schon mal danach gesehnt, mit lieben Menschen irgendwo fernab aller Hektik und Industrie auf dem Land eine Art Lebensgemeinschaft aufzubauen und gemeinsam durch gute und schlechte Zeiten zu gehen. Darin finde ich den Film auch sehr sympathisch, aber Wunschvorstellung und Naivität liegen halt auch eng beisammen, und ich persönlich bin nicht immer in der Stimmung, mich hundert Minuten lang an Lebensentwürfen zu ergötzen, die mit der Realität so gar nichts zu tun haben, jedenfalls nicht mit meiner. Außerdem kommt besagter Humor auch etwas zu kurz im Vergleich zu vielen weihevollen, feierlichen und langatmigen Betrachtungen über den Lauf der Welt. Bei aller Liebe zum Detail und der sichtbaren Freude am deftigen Fabulieren verliert sich Gorris an diesen Stellen zu stark in Allgemeinplätzen und Klischees, die niemanden trösten können, auch wenn man an das glauben möchte, was man auf der Leinwand sieht. Die enorme Anhäufung von Schicksal kann auf die Dauer auch willkürlich und ermüdend wirken und schöne einzelne Ideen oder Episoden entwerten. Genau das ist hier an einigen Stellen leider passiert. (6.9.)