"Breaking the Waves" (#) von Lars von Trier. Dänemark, 1996. Emily Watson, Stellan Skarsgård, Katrin Cartlidge, Jean-Marc Barr, Adrian Rawlins, Jonathan Hackett, Sandra Voe, Phil McCall
Lob und Preis gebührt von Trier zunächst schon mal für den enormen Mut, in den Zeiten von computeranimierten Spektakeln, glatten Slackerfilmchen oder ödem Retrokino aus Hollywood einen solchen Film zu wagen, der ja nichts weniger ist als eine Passionsgeschichte, angesiedelt in einem grausam puritanischen Schottland der siebziger Jahre. Dort, wo die Frauen in der Kirche zu schweigen haben, wo Menschen aus dem Hause Gottes verstoßen und nach ihrem Tode der Hölle überantwortet werden, wo Furcht und Demut vor Gott vor allem anderen zählen, und wo man partout nicht zulassen will, daß das Leben etwas anderes sein könnte als eine Anhäufung von Prüfung und Mühsal, dort erlebt Bess ihre große Liebe zu Jan, der auf der Bohrinsel arbeitet. Sie kann die Gemeinde von der Lauterkeit ihrer Gefühle überzeugen, darf heiraten und fortan die Freuden der Ehe genießen. Dann verunglückt Jan, kommt als Krüppel zurück und die Leidenszeit von Bess beginnt. Er ist bitter und launisch, sie lebt nur noch für ihn. Er verlangt von ihr nach einer Weile, sexuelle Abenteuer mit anderen Männern zu suchen und ihm davon zu berichten, als eine Art Lebenselixier für sich selbst. Sie geht schließlich auf ihn ein und gerät in einen fatalen Kreislauf aus Schuld, Gewissensnot und sozialem Druck. Sie wird aus der Gemeinschaft ausgestoßen, Jans Zustand verschlechtert sich trotzdem immer mehr, und dennoch geht sie ihren Weg unbeirrt weiter, prostituiert sich in Kneipen und auf einem Schiff, wo sie schließlich brutal mißhandelt wird und daran stirbt. Ihr Opfer vollbringt das nötige Wunder: Jan wird geheilt, und für Bess läuten Himmelsglocken.
Was wie ein absurdes, gruseliges Kitschdrama klingt, ist ein Film von großer Kraft, ein zorniges, zärtliches, archaisches, kantiges und großartiges Drama, dem man sich entweder spontan vollkommen entzieht, oder ihn für lange Zeit nicht aus dem Kopf kriegen wird. Die Geschichte ist nicht irgendwie komplex, intellektuell verstiegen oder tiefgründig angelegt. Es geht um Dinge wie Liebe, Glauben, Wahrheit, Dogma, Gnade und Schuld, doch wie durch ein Wunder (noch eins) kommt dies alles nicht schwerblütig und bodenständig daher. Von Triers charakteristische Handkameratechnik und seine Farbverfremdungen sind nicht jedermanns Geschmack, aber sie bewahren diesen Film unter anderem vor Pathos und Klischees. Die Welt erscheint nicht in sauberen Postkartentableaus, sondern in intimen, ganz dicht an den Personen geführten Bildern und gelegentlichen, traumhaft stilisierten Landschaftsbildern zu dröhnenden Songs der Siebziger. Der Strudel, in dem Bess sich ständig befindet, könnte nicht eindrucksvoller nachgefühlt, ihre Wahrnehmung und Welt nicht ausdrucksvoller dargestellt werden. Und dann ist da ja auch noch Emily Watson: Ein Gesicht wie ein Sog, in den man sich versenken möchte, ein Gesicht, mit dem man lachen will, wenn es glücklich ist und mit dem man heulen will, wenn sich alles Unglück der Welt darin spiegelt. Ihre Verletzlichkeit, ihre fehlenden Abwehrkräfte gegen die eigenen Gefühle und gegen die Anfechtungen von außen, ihre Stärke andererseits, ihre alles bloßstellende Offenheit und Bedingungslosigkeit und ihre tiefe Religiosität, die dennoch frei von Bigotterie ist, alles vereint sich in einer schauspielerischen Bravourleistung, wie ich sie in diesem Jahr zumindest noch nicht gesehen habe, und wahrscheinlich auch nicht mehr sehen werde. Sie vor allem transportiert die Geschichte zu uns, sie stellt die Verbindung her und schafft es, daß man über zweieinhalb Stunden gebannt, fasziniert, ergriffen und traurig auf die Leinwand starrt. Wer könnte den Moment vergessen, da sie zum ersten Mal mit Jan schläft, ihn dazu drängt, sie zu entjungfern, jetzt gleich auf der Toilette, noch während der Hochzeitsfeier, und die Kamera die ganze Zeit über nur sie zeigt, den ins Leere gerichteten Blick, die bange Erwartung, die erste Berührung, den kurzen Schmerz, dann das ganz neue, lang ersehnte Gefühl, die Erleichterung, den Genuß, die Dankbarkeit. Eine der erotischsten und schönsten Szenen über Liebe überhaupt. Ihre beeindruckenden Zwiegespräche mit einem Gott, von dem wir bis zuletzt nicht recht wissen, ob sie ihn wirklich hört, oder ob sie ihn sich selbst konstruiert, verdeutlichen besonders die Bandbreite ihrer Ausdrucksmittel, die wirklich für ein Kinoerlebnis von besonderer Qualität sorgen. Ein Film, den man gar nicht so ausführlich analysieren muß, sondern den man ganz einfach auf sich wirken lassen kann, wie schon lange keinen mehr. (30.10.)