"De Noorderlingen" (Die Leute aus dem Norden) von Alex van Warmerdam. Niederlande, 1992. Leonard Lucieer, Rudolf Lucieer, Annet Malherbe
Diese wunderlichen Leute leben in einer Reißbrettsiedlung, die 1960 ganz im Stil der Zeit mitten auf die sprichwörtliche grüne Wiese geknallt wurde: Zwei Reihen aseptisch gleich aussehender Wohnhäuser und dazwischen eine Durchgangsstraße, nebenan ein "Wald" mit geometrisch gepflanzten Bäumen und einem künstlich angelegten Teich, kurz das typische Naherholungsgebiet, und wiederum daneben eine Bushaltestelle und die einzige Gewißheit, daß es auch noch so etwas wie eine Außenwelt gibt, die allerdings nur wenig Einfluß nimmt auf diese miefige Kleinbürgeridylle im Schöner-Wohnen-Stil. Klar, daß es hinter den geleckten Fassaden nicht ganz so sauber ausschaut: Der Fleischer erzwingt täglich den Beischlaf von seiner Frau, so lange, bis sie in einen Hungerstreik bis zum Tode tritt und dafür lustvoll als christliche Märtyrerin angebetet wird. Der Jäger ist ein sadistischer Aufpasser, der seine Unfruchtbarkeit an seiner Frau und anderen Mitmenschen ausläßt und allgemein für Ordnung sorgt. Der Briefträger liest die Briefe der Siedlungsbewohner, bespitzelt alle und weiß über alles Bescheid. Aber es gibt auch Dinge, die sich nicht kontrollieren lassen: Dem Fleischersohn Thomas erscheint immer wieder eine verführerische junge Frau, die offenbar wild im Wald lebt. Und dann tauchen zwei belgische Missionare mit einem Schwarzen auf, der Teil einer naturkundlichen Ausstellung ist und von Thomas aus seinem Käfig befreit und versteckt wird. Sogleich geht der Jäger auf die Pirsch, doch er tötet die junge Frau und versenkt sie im Teich, bevor der Schwarze ihm die Augen aussticht und einen noch größeren, noch verbisseneren Fanatiker aus ihm macht. Seine Frau versucht derweil, ihren Kinderwunsch mit dem Fleischer zu realisieren, der seine Gelüste allerdings längst nicht mehr im Griff hat und schließlich echten Ärger kriegt. Eine zwischen schwarzer Komik und satirischem Alptraum pendelnde Farce, wie man sie sich eigentlich nur von den Holländern denken kann - witzig, grotesk, skurril in allen Details, voller böser Tiefschläge gegen Spießer, Rassisten, Heuchler und bigotte Kleinbürger und immer haarscharf an der deutlich erkennbaren Realität. Wer kennt solche Mustersiedlungen nicht, ist nicht schon mal durch sie gefahren mit dem innigsten Wunsch, nur nie dort leben zu müssen, ohne zu bedenken, daß es ihm selbst vielleicht gar nicht so anders geht. Soziale Kontrolle allenthalben, fest gemauerte Strukturen, Gruppenzwang in höchster Ausprägung und dazu dann all jene aberwitzigen, heimlichen Ausbruchsversuche und Risse im Zement, die dem Ganzen erst die rechte Würze geben. Der Film arbeitet natürlich mit Karikaturen, doch fallen diese glücklicherweise nie so schrill aus, daß man auf die Dauer die Lust am Zuschauen verliert. Nie tritt jene überzogene Willkür auf, die einige Filme dieser Art schon hat langweilig und beliebig werden lassen, immer bleibt der satirische Anspruch gewahrt, kann ein gleichbleibend hohes Niveau gehalten werden. Verglichen mit Jos Stellings Filmen beispielsweise operiert dieser hier viel näher an der Realität und genau deshalb gefällt er mir auch besser. (14.2.)