"Kadisbellan" (Die Schleuder) von Åke Sandgren. Schweden, 1993. Jesper Salén, Stellan Skarsgård, Basia Frydmund, Niclas Olund, Ernst-Hugo Järegard
Rolle in zwölf, wächst auf im Stockholm der Zwanziger, in strengem gesellschaftlichem Klima, und er hat's nicht leicht. Die Mutter ist jüdische Einwanderin aus Rußland, der Vater ein gichtgeplagter, griesgrämiger Sozialist und der Bruder ein angehender Boxer. Paps will aus ihm natürlich einen der ihren machen, der Bruder verwechselt ihn gelegentlich mit einer Boxbirne, und Mutter, die unter dem Ladentisch die damals verbotenen Kondome verscherbelt, bringt ihn, allerdings ungewollt, in noch größere Schwierigkeiten. Denn als er entdeckt, wie vielseitig sich die Dinger verwenden lassen, zieht er einen alsbald florierenden Handel mit Gummischleudern eigener Herstellung auf, solange allerdings nur, bis er auffliegt und für diese Verfehlung, seine letzte und schlimmste, endgültig ins Erziehungsheim wandert. Das schockt ihn nun aber wenig, denn er hat sich und seinen Weg gefunden und beschlossen, daß sein Heimaufenthalt zu einem weiteren Ereignis werden soll.
Noch'n Jugendfilm aus Schweden, könnte man sagen, aber was soll's, wenn die alle so schön sind wie der hier. Ein bißchen Nostalgie, ein bißchen Sozialgeschichte und Psychologie und eine Menge Charme und Witz sind im Spiel, und das in einer gut ausgewogenen Mischung. Der wehrhafte, zähe Rolle, der mich ein wenig an Ingemar aus "Mein Leben als Hund" erinnert, tut, was er tun muß, um die Erfahrungen zu sammeln, die ihm dabei helfen, ein vorläufiges Bild von der Welt und vom Leben zu erstellen. Er friert mit der Zunge am Laternenpfahl fest und muß von Muttern mit dem Schweißbrenner befreit werden, kriegt dauernd was auf die Nase, die deshalb fast nur unter einem unförmigen Verband verborgen ist, wird in der Schule vom Lehrer gemein gedemütigt und schwer gezüchtigt, muß sich Juden- und Sozilümmel schimpfen lassen, wird bei allerhand Geschäften übers Ohr gehauen, wird von einer Frau enttäuscht, der er zuvor gegen Bezahlung unter den Rock schauen durfte, verteilt Läuse auf dem Lehrerklo, lackiert geklaute Fahrräder um, muß mitansehen, wie sein Vater gestreckt und sein Bruder aus dem Boxring getragen wird und muß ganz allgemein erkennen lernen, wer sein Freund ist und wer nicht. Es ist mit anderen Worten ziemlich viel los, zu lachen gibt es eigentlich immer was, wobei auch Roland Schütts Kindheitserinnerung jenen wunderbar skurrilen Humor haben, für den die Skandinavier in diesem Zusammenhang bekannt sind. Dieser Humor beruht oft darauf, daß wir es eben nicht mit einer lieben, angepaßten Hauptperson zu tun haben, sondern eher mit einem sperrigen Typen, der kämpfen muß gegen die Umwelt, und das auch mit viel Einfallsreichtum und Ausdauer tut. Åke Sandgren bettet Rolles Erlebnisse in plastische Epochenbilder ein, hat vorzügliche Schauspieler ausgewählt, besonders Jesper Salén ist als Rolle glänzend, und somit eine große Filmtradition um ein sehr gelungenes Beispiel erweitert. Und wenn die Schweden, aus welchen Gründen auch immer, keine Gegenwartsfilme mit Erwachsenen machen wollen, oder die bei uns schlicht nicht in die Kinos kommen, muß man sich halt an das halten, was angeboten wird. In diesem Fall soll es mir ein Vergnügen sein. (23.10.)