"Guantánamera" (#) von Thomás Gutierrez Alea und Juan Carlos Tabio. Kuba/Spanien, 1995. Mirtha Ibarra, Jorge Perugorria, Carlos Cruz
Anspruch und Wirklichkeit im real existierenden Sozialismus: Adolfo, ein eifriger Parteibürokrat, entwirft den genialen Plan, daß raumgreifende Leichenüberführungen künftig etappenweise von jeder der zu durchquerenden Gemeinden übernommen werden, um somit die Kosten gleichmäßig zu verteilen. Den Ernstfall darf er dann mit der jüngst verschiedenen Tante seiner Gattin Gina erproben, die aus Havanna weit raus in die Provinz reiste, dort in den Armen ihrer Jugendliebe entschlief und nun zurück in die Hauptstadt gefahren werden soll. Also macht sich ein kleiner Leichenzug auf den Weg, doch viele Tage und Kilometer später haben sich einige Konstellationen geändert: Gina hat dem Überspießer Adolfo endlich den Tritt gegeben und schwingt sich auf den Lenker von Mariano, den sich einst als Dozentin unterrichtete, bevor für beide die Sache schiefzulaufen begann: Gina heiratete Adolfo, was ein Ende ihrer eigenen Ambitionen bedeutete, und Mariano wurde Kraftfahrer und Schürzenjäger, was ihm auf der ganzen Insel viele Probleme einbringen sollte. Nun wollen sie gemeinsam nochmal von vorn anfangen, oder so. Eine bunt gemischte und ebenso vergnügliche wie einsichtsvolle Reise durch Kuba, und zwar durch Kuba, wie es wirklich ist, und nicht wie es die Parteifunktionäre in ihren Jahresplänen erträumen. Korruption und Improvisation statt straff organisierter und funktionstüchtiger Bürokratie, Vetternwirtschaft und Eigenbedarf in den kleinen Kolchosen auf dem Land, wo auch der große Genosse aus der Hauptstadt nichts mehr zu sagen hat und höchstens noch drohen kann, daß dies alles ein gehöriges Nachspiel haben wird. Adolfo ist der Musterdogmatiker, der unbeirrt und ohne jeglichen Kontakt zur Realität an den Auftrag der Partei und des Systems glaubt und der vor allem davon überzeugt ist, daß sich all dies auch in die Tat umsetzen läßt, während draußen die Leute tagtäglich mit dem Zusammenbruch der Ordnung, mit Armut, Mangel und Versorgungsengpässen rumzuschlagen haben. Alea und Tabio haben daraus eine witzige Satire gemacht, die auch im privaten Bereich ansetzt, die Geschichte einer Befreiung erzählt, nämlich der Ginas aus dem Käfig ihrer Ehe. Der allegorische Gehalt ist recht offensichtlich, aber trotzdem handelt es sich hier nicht um einen öden Thesenfilm, sondern um eine humorvolle und bissig ironische Demonstration für Menschlichkeit und gegen das System. Nach "Erdbeer und Schokolade" eine zweite treffende und amüsante weil subversive Zustandsbeschreibung aus Kuba. (4.3.)