"Leaving Las Vegas" (#) von Mike Figgis. USA, 1995. Nicolas Cage, Elisabeth Shue

Mike Figis muß ein musikalischer Mensch sein: Schon sein früher englischer Film "Stormy Monday" zeichnete sich durch jazziges Feeling und viel Sting aus. Beides hat er hier mit über den Teich genommen und den ohnedies üppigen Soundtrack noch durch eigenes Musizieren angereichert. Herausgekommen ist eine spröde, düstere, nicht gerade mainstreamkompatible Jazzballade über Selbstzerstörung, Prostitution, Geld und Gewalt hinter der kalten Glitzerfassade des bewußten Molochs in der Wüste Nevadas. Ben hat in LA so ziemlich alles verloren, was es zu verlieren gibt. Er rafft sein restliches Geld zusammen und zieht sich nach Las Vegas zurück, um sich dort hübsch langsam zu Tode zu saufen. Sera ist Prostituierte, kriegt ständig Schläge von ihrem lettischen Zuhälter und sehnt sich ganz einfach nach einem Menschen, mit dem sie anders als auf geschäftlicher Basis verkehren kann. Ben macht ihr gleich klar, daß sie ihm von seinem Entschluß niemals wird abbringen können, sie akzeptiert und verliebt sich trotzdem in ihn. Durch allerlei Härten, Katastrophen, Enttäuschungen aber auch schöne Momente begleitet sie ihn bis zu seinem Tod. Kein schönes Thema und keine großen Helden, sondern zwei verzweifelte, einsame, verlorene Außenseiter im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ben hat seinen Weg, auf die Erbarmungslosigkeit zu reagieren, aber er wird nicht zum Märtyrer, er ist kein Loser, der an den Verhältnissen in diesem Sinn gescheitert ist. Er ist gescheitert, aber vielleicht auch nur an sich selbst. Er lamentiert und philosophiert demnach auch nicht groß herum, er trinkt sich einfach um Verstand und Leben und damit gut. Gern nimmt er Seras Wärme und Zuneigung und auch Fürsorge an, doch läßt er sie auch wissen, daß er ihr nicht viel zurückgeben kann, sie im Prinzip eher ausnutzen wird, denn er lebt fast nur noch für den Alkohol, den er in furchtbaren Mengen konsumiert. Auch sie hat viel einstecken müssen, doch den allgemeinen Kampf noch nicht aufgegeben. Die erniedrigende Mühle der Prostitution kann sie wohl ertragen, aber nur, wenn es auf die Dauer einen Ausgleich gibt, ein Zuhause, eine Zugehörigkeit. Sie macht sie wohl keine Illusionen über Ben und ihre gemeinsame Zukunft, doch gibt sie all ihre Kraft, ihre Emotionen, ihre Sehnsüchte in diese gemeinsame Zeit, gibt ihm alle Freiheit, alles was er braucht, einerseits um ihn zu halten, andererseits, weil sie so natürlich auch gebraucht wird. Figgis hat den Film zwar etwas zu lang und teilweise zu uneben gestaltet, doch gelingen ihm häufig erschütternd intensive Momente, die sowohl das beängstigend Unaufhaltsame in Bens Trinkerei als auch das Demütigende in Seras Beruf verarbeiten. Die sehr dick aufgetragene Begleitmusik sorgt generell für einen stimmigen atmosphärischen Hintergrund, aber manchmal ist es eben auch zu viel, und die eine oder andere Episode (wie beispielsweise Seras eingeschnittene Erklärungen im Gespräch mit einem anonym bleibende Partner) hätte man sich vielleicht auch sparen können, doch die Story an sich, ihre bittere Konsequenz und emotionale Kraft sind an sich beeindruckend genug und bedürfen keiner langatmiger Predigten, keiner wässrigen und pompösen Absichtserklärungen. Und natürlich hat Figgis zwei faszinierende Schauspieler gefunden: In Nicolas Cages bedrückend realistischer Körpersprache und in den wunderbar ausdrucksvollen Augen Elisabeth Shues spielt sich das ganze Drama ab, mehr braucht es fast nicht. Figgis hatte völlig recht, sich fast nur auf diese beiden zu konzentrieren, denn sie tragen den Film souverän, bieten komplexe, kraftvolle und mitreißende Charakterstudien, wie man sie im amerikanischen Film der Neunziger bislang nur ganz selten gesehen hat. Logisch, daß wir hier kein Hurrabild Amerikas vorgesetzt bekommen. Daß es aber auch nicht eines jener genau kalkulierten Negativbilder geworden ist, mit dem man die Zuschauer ab und an auch mal ganz gern ködert, um zu zeigen, schaut her, so selbstkritisch sind wir, dies also habe ich als besonders positiv und bemerkenswert empfunden. (29.5.)