"Mutters Courage" von Michael Verhoeven. BRD/England/Österreich, 1995. Pauline Collins, George Tabori, Ulrich Tukur, Natalie Morse

Mutter Taboris Courage ist nicht eigentlich sehr präsent, sie kommt vielmehr schlagartig in einem einzigen Augenblick zum Vorschein, und zwar zu ihrer eigenen größten Überraschung: Es ist 1944 in Ungarn, die Nazis wüten, vernichten und deportieren mit fleißiger Mithilfe der Einheimischen. Die Taboris sind Juden, die Söhne im englischen Exil, der Vater bereits mit einem Bein in Auschwitz, und nun wird auch die Mutter erfaßt, zusammengetrieben mit vielen anderen und in einen langen Zug gepfercht. Auf einem Zwischenhalt wird sie dann von einem lästigen Freund sozusagen gezwungen, mit ihrem guten Namen, ihrer guten Kleidung und ihrem guten Benehmen bei den Nazis vorzusprechen. Die Schergen wollen sie natürlich gleich totschießen, doch was so ein echter deutscher Kulturmensch ist, der hat für eine formvollendet vorgetragene Bitte immer ein offenes Ohr, und fast wie durch ein Wunder werden Mutter Tabori und ein junges Mädchen, das sich ihr angeschlossen hat, gerettet. Eines nur stört die Mutter im Nachhinein, nämlich daß sie jenen Nazioffizier, den sie eigentlich hassen sollte, nun lieben muß für ihr Überleben.

 

Keine große Geschichte auf den ersten Blick und doch eine Geschichte mit Größe. Mutter Tabori erinnert in Pauline Collins' genialer Darstellung stark an Edda Seippels Mutter Kempowski: Der gleiche feine Gestus, die gleiche großbürgerliche Attitüde, die gleiche Naivität gegenüber den Vorgängen rundherum, der gleiche unerschütterliche Glaube an Menschlichkeit und Gerechtigkeit, der selbst durch schlimmste Erlebnisse nicht so ganz vernichtet wird. Mutter Tabori ist keine Kämpferin und keine politisch engagierte Frau, ihr Motto ist vielmehr "bloß nicht auffallen, dann wird alles von selbst gut" und nie wäre sie auf die Idee gekommen, lauthals zu protestieren. Ihr kurzer, aber so folgenreicher Auftritt erfolgt ja weitgehend unfreiwillig, und als sie schließlich vor dem Offizier steht, scheint sie wie durch eine jähe Erleuchtung die ganze Situation zu erfassen und genau zu begreifen, was sie wie erreichen kann. George Tabori taucht immer wieder in den Bildern auf und kommentiert diese Geschichte mit trocken-traurigem Sarkasmus. Eine Liebeserklärung an diese Frau und zugleich seine Version vom Holocaust in Ungarn. Verhoeven steuert dazu seine eigene Handschrift bei und riskiert mal wieder mit sichtlichem Vergnügen, mißverstanden zu werden. Sein besonderer Humor ist zweifellos Geschmacksache, und viele werden einwenden, daß man bei diesem Thema gefälligst jegliche Ironie zu vermeiden habe. Doch eigentlich stellt der Film genau wie alle anderen nur einen weiteren Versuch da, den Wahnsinn der Vernichtung, das Unbegreifliche zu erfassen. Verhoeven spielt mit den Mitteln des Films, des Theaters, des Kabaretts. Er überspitzt, spottet, karikiert, verhöhnt. Die ganze Banalität des Bösen, der grausig-komische Schrecken deutscher Bürokratie und Gründlichkeit und der genauso grausige Schrecken der jüdischen Folgsamkeit, des braven, ahnungslosen Gehorsams der Lämmer auf dem Weg in den Tod, all dieses findet Platz zwischen Lachen und Weinen, zwischen schrecklich schöner Satire und schrecklicher Gewalt. Ein schmaler Grat, zugegeben, aber bis auf einige allzu übermütige Plattheiten wahrt Verhoeven die Balance und sollte eigentlich nicht in den Ruf kommen, er habe Schabernack mit dem Holocaust treiben wollen, zumindest ich kann diese Absicht zu keiner Zeit erkennen. Nach dem schrecklichen Mädchen ein weiterer bemerkenswerter Beitrag zum politischen Film in der BRD, der zeigt, daß es auch anders geht, als mit der TV-kompatiblen tiefernsten Betroffenheit. (23.4.)