"Nelly et Monsieur Arnaud" (#) von Claude Sautet. Frankreich, 1995. Emmanuelle Béart, Michel Serrault, Jean-Hugues Anglade, Claire Nadeau, Michel Lonsdale, Françoise Brion, Charles Berling

Noch ein Melodram aus der Pariser Kulturschickeria also, aber genau wie schon "Ein Herz im Winter" ein Film, der gefangennimmt, fasziniert, berührt. Eine einfache Geschichte mit einigen wenigen Leuten darin, eine vorsichtige Begegnung eines älteren Mannes und einer jungen Frau, die für ihn ein Manuskript tippen soll, ein Spiel mit Stimmungen und Gefühlen, alles natürlich sehr dezent, fast unterdrückt, aber Sautets Kunst liegt halt in der Feinabstimmung, der Nuancierung. Er benötigt keine großen Gefühle, keine grellen Klischees, um dennoch genau so viel zu sagen über Menschen und ihre Eifersucht, ihre Niederlagen, ihre kleinen Lügen, ihre Schwächen und ihre Verschlossenheit. Nelly scheint eine recht starke, unabhängige Frau zu sein, die sich von ihrem phlegmatischen, untätigen Mann trennt und eigene Wege geht, selbst wenn sie sich mit Aushilfsjobs über Wasser halten muß. Auch eine kurze aber letztlich erfolglose Affäre mit Arnauds Verleger kann sie wegstecken, nicht aber Arnauds jähe Ankündigung, mit seiner Exfrau eine lange Weltreise unternehmen und vielleicht überhaupt nicht mehr seßhaft werden zu wollen. Ganz zum Schluß zeigt auch sie ihre Empfindungen für den exzentrischen Mann, vor dem sie sich zuvor stets abgeschottet hatte, und dies teilweise auch zurecht, denn Arnaud hatte ihr mit seiner Mischung aus redseligem Charme, Neugier und eifersüchtigen Launen des öfteren zugesetzt. Ein ehemaliger Justizbeamter in den Kolonien, dann ein Geschäftsmann, der sich den Luxus leistet, einen alten, gescheiterten Kompagnon mit gelegentlichen Geldzuwendungen auszuhalten, ein allein lebender Typ, der in Cafés und Bistros verkehrt, zur sogenannten Gesellschaft gehört, aber dennoch wie auch Nelly recht introvertiert ist. Ihre Begegnungen, die langsame Annäherung, ihre Gespräche, das feine Ringen um Terrain, um kleine Geheimnisse, um Abhängigkeiten, aber auch um Sympathien, das stetige Verschieben der Kräfteverhältnisse und der Stimmungen werden von Sautet mit einem hohen Maß an Aufmerksamkeit und Sensibilität verfolgt, wobei den beiden großartigen Hauptdarstellern natürlich ein enorm wichtiger Teil zufällt, den sie mit Bravour ausfüllen, vor allem ist es bemerkenswert, daß Serrault seine oft etwas zu aufdringlich zickigen Manierismen im Griff hat und ein sehr unterhaltsames Porträt des Monsieur Arnaud hinlegt. Alles andere ist qualitativ natürlich vollkommen angemessen, die Kamera mit den gedämpften, winterlich melancholischen Tönen und die sehr detaillierte Tonspur mit all den realen Hintergrundgeräuschen, die unter anderem dafür sorgen, daß aus der Geschichte kein steriles Kammerspiel geworden ist. Einige gut gespielte Nebenfiguren sind dabei, aber Béart und Serrault dominieren den Film und bilden ein Paar, das über die gesamte Distanz beeindruckend und interessant bleibt. Man merkt einmal mehr, daß das Kennenlernen zweier Menschen tatsächlich sehr oft ein kleiner Kampf ist, eine schrittweise Preisgabe von Blockaden. Was hier vor allem für Arnaud gilt, der seine spontanen Gefühle für die schöne Nelly hinter betonter Förmlichkeit oder eben jähen Stimmungsschwankungen zu verbergen sucht, während sich Nelly ihrer Empfindungen erst recht spät bewußt zu werden scheint, teils wohl aus Verdrängung derselben, teils aber auch als Resultat ihrer vorherigen, nicht unbedingt ermutigenden Erfahrungen. Ein wunderbar gestalteter, stiller und tiefgründiger Film, der die notwendige und nicht mehr allzu selbstverständliche Geduld des Kinogängers wirklich belohnt. (26.2.)