"Sense and Sensibility" (Sinn und Sinnlichkeit) von Ang Lee. USA/England, 1995. Emma Thompson, Kate Winslett, Hugh Grant, Alan Rickman

Verstand und Gefühl (und nicht Sinn und Sinnlichkeit, wie in dem blöden deutschen Filmtitel) gehen in den klassischen Romanen von Jane Austen immer eine recht komplizierte Beziehung ein. Das eine konnte nicht ohne das andere existieren in der englischen Ständegesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts, wo es das Bestreben eines jeden jungen Mädchen gewesen zu sein schien, eine angemessene Heiratspartie zu finden, und wo allgemein mit gnadenloser Sorgfalt darauf geachtet wurde, daß sich nur ja kein Jüngling unter seinem Stande vermählte, wozu auch der eifrig betriebene Unterschied zwischen städtischer und ländlicher Gesellschaft zählte. Mitgift, Elternhaus und Klassenzugehörigkeit waren die Zauberworte, und man sieht daran, daß es zunächst vielerlei Hindernisse zu überwinden galt, bevor sich das Gefühl zu Wort melden konnte. Bei Jane Austen geht es, dialogreich, detailliert und ironisch pointiert, eigentlich immer nur um diese Dinge, wobei Situation und Standpunkt der Frauen durchaus in den Mittelpunkt rückten, und Emma Thompson als frisch gekürte Oscarpreisträgerin hat in ihrem Drehbuch die Substanz des Romans geschickt mit den Zutaten eines Unterhaltungsfilms verknüpft. Die Geschichte der beiden Dashwoodschwestern, die nach langem Bangen und Zehren schließlich doch die Männer kriegen, die sie haben wollten, bietet genug Raum für alle Schattierungen des Liebesglücks und -leids, aber eben auch für satirische Sozialporträts, die sich über Geldgier, Standesdünkel, Verlogenheit, Indiskretion und Intrigen mokieren. Hochnäsig blickt die Londoner Schickeria auf die Landpomeranzen aus Devon herab, amüsiert werden demütigende Szenen begafft und mit flinker Berechnung wechselt die Sympathie eines Mädchens von einem Bruder zum anderen, just wie sich die Geldverhältnisse ändern. Ob man ihr daraus aber nun einen Vorwurf machen sollte, weiß man noch nicht mal, denn wie Marianne, die 'vernünftige' der beiden Schwestern, erkannt hat, sind Frauen den allgemeinen Verhältnissen ziemlich tatenlos ausgeliefert, haben kaum eine Möglichkeit, von sich aus zu handeln und zu wählen. Während sie sich mit diesem Zustand abgefunden zu haben scheint, favorisiert die impulsive Elinor eindeutig das kompromißlose Ausleben ihrer Neigungen, was ihr abwechselnd höchste Euphorie und tiefste Schmach beschert, genau das, wovor sich Marianne zu schützen gedenkt. Wo Elinor stets an der Feigheit der Männer leidet, zu ihren Gefühlen zu stehen, wo ihr Unausgesprochenes unerträglich ist, fügt sich Marianne den Regeln, verbirgt ihre Hoffnungen und Enttäuschungen und wahrt selbst in Momenten größter Not noch die Fassung und den äußeren Anstand. Erst als ihr der geliebte Edward schließlich offenbart, daß nicht er sich vermählt hat, sondern sein Bruder, bricht alle Anspannung aus ihr heraus. Ang Lee ist ein hervorragender Regisseur, der die Erzählung in einem beschwingten, eleganten Fluß hält, in einem Schwebezustand, der einerseits für allerbeste, inspirierte Unterhaltung sorgt, aber eben auch innehält, um die sogenannten Zwischentöne zur Geltung zu bringen. Die Location Manager haben vor Ort in England ganze Arbeit geleistet und ländliche Idyllen aufgetrieben, die die Kamera in herrliche Impression umsetzt, und zumindest die weiblichen Darsteller passen sehr gut zu ihren Rollen, was ich bei den Herren nicht unbedingt behaupten möchte. Hugh Grant zwinkert und stolpert und stottert herum und übertreibt seine jungenhaft-charmante Tour eindeutig, während Alan Rickman die meiste Zeit so verbissen und finster dreinschaut, als habe er Gallensteine und man am Ende nicht genau weiß, was die temperamentvolle Elinor ausgerechnet zu ihm hinzieht. Aber trotzdem habe ich mich glänzend amüsiert, kleinere Vorbehalte ob der langsam inflationären Welle gepflegter britisch-literarischer Filmkunst vergessen, und bin mal wieder zu dem Ergebnis gekommen, daß in Zeiten von Rinderwahnsinn, Cyberspace und Amokläufern ein Stückchen niveauvollen Eskapismus' genau die passende Medizin sein kann. Auf dem Gebiet können Filmleute, die gern auf Nummer sicher gehen, jetzt natürlich noch ein weites Feld abgrasen, und auch die Verlagswelt profitiert davon: Bei Heyne ist jetzt das Buch zum Film (Jane Austen? Who the fuck is Jane Austen?) mit vielen schönen Fotos erschienen. (26.3.)