"Conte d'été" (Sommer) von Eric Rohmer. Frankreich, 1995. Melvil Poupaud, Amanda Langlet, Aurélia Molin, Gwenaelle Simon
Naja, den Sommer kann jeder Film erstmal im Titel versprechen, aber ihn uns wirklich auf die Leinwand, in die kühlen heimischen Kinosäle zu bringen, das ist ja wohl noch was anderes. Aber Rohmer, dieser oft totgesagte und ebenso oft wiederauferstandene Mittsiebziger (dieses Alter will mir bei ihm nie in den Kopf!), hat mal wieder ein kleines Wunder auf Zelluloid vollbracht, und mir just all das geschenkt, wonach ich mich sehne: Das Meer, den Wind, den Strand, die Küsten der ach so heißgeliebten Bretagne (auch wenn es schönere gibt, als die bei Dinard und St. Malo), ihre Felsen und Häuser aus Granit, ihre Felder und Formen. Aber er hat auch noch mehr geschafft, er hat uns alle daran erinnert, wie gut ein wirklich guter Rohmerfilm sein kann, und das hier ist einer, einer der allerbesten, der uns zugleich bemerken läßt, wie sehr die beiden vorangegangenen Filme, die ja nicht zum Zyklus der vier Jahreszeiten gehörten, dagegen abfallen (ohne dabei mißlungen zu sein). Was sich hier vor allem zeigt: Rohmer liebt den Sommer, und ganz anders als etwa im Frühling oder im Winter, denen er längst nicht so viel Atmosphäre abgewinnen konnte, beweist er hier sein ganzes Gefühl und Temperament. Der Sommer ist wunderbar präsent, in jedem Bild, in jeder Farbe und Stimmung. Dazu wird uns eine leichte Geschichte serviert, eine Komödie der Irrungen: Gaspard kommt allein nach Dinard und will sich vielleicht mit einem Mädchen treffen, das ihn vielleicht liebt, und das er vielleicht auch liebt. Plötzlich aber steht er drei Mädchen gegenüber, und er merkt, daß er höllisch aufpassen muß, welchem er was sagt, und welches er nun wirklich liebt. Margot ist redselig, flirtet zwar, hat aber einen Freund. Solène ist offensiv und geht selbstbewußt zu Werke. Lena, der ursprüngliche Grund seiner Anreise, ist schwierig, launisch und irgendwie doof. Allen dreien verspricht er ungefähr gleichzeitig, zur Île d'Ouessant im Westen der Bretagne zu fahren, aber bevor es zum großen Krach kommt, laviert er sich gerade noch heraus. Margot verabschiedet ihn am Schiff, aber abreisen tut er letztlich auch wieder allein. All das kennt man natürlich, wenn man Rohmerfilme kennt, aber ich habe diese vertrauten Zutaten, die labyrinthischen, endlos verschlungenen, kunstvoll den Kern der Wahrheit umkreisenden Gespräche, dieses zarte, erotische Spiel mit Annäherung und Abweisung, die ständigen Kurs- und Meinungsschwankungen, das dauernde Aufstellen und Wiederumwerfen von Prinzipien und festen Ansichten schon lange nicht mehr mit soviel fast süchtigem Genuß eingesogen, wie dieses Mal. Man lächelt oder kichert eigentlich fast die ganze Zeit (wenn es einem gefällt natürlich nur), und wenn das mal nicht so ist, hat Rohmer es auch nicht so gewollt, denn selten ist ihm die Feinabstimmung der Charakterzeichnungen so geschickt gelungen: Die Chemie zwischen Gaspard und Margot stimmt, das merkt man nach anfänglichen Reibereien gleich. Ein ewiger Flirt, eine charmante, zärtliche Koketterie begleitet ihre ausgedehnten Spaziergänge und Unterhaltungen, und voll erwartungsvoller Spannung wartet man auf den ersten Kuß, die erste Intimität, das erste offene Bekenntnis, und je länger uns das vorenthalten wird, desto größer wird unsere Lust, die Sehnsucht nach mehr. Großartig inszeniert und gespielt, sind diese Szene sind schönsten des Films, und sie könnten nach meinem Geschmack fast endlos so weitergehen, zumal es Rohmer dieses Mal auch wieder vollendet gelungen ist, die alles dominierenden Dialoge stets witzig, interessant und delikat zu gestalten. Gaspards Zusammensein Lena oder Solène hat nicht die gleiche Leichtigkeit, die gleiche Unbeschwertheit, die entwaffnende Mischung aus geschwisterlicher Vertrautheit und unterschwelliger Erotik. Nur mit Margot fühlt er sich sicher und wohl, und irgendwann merkt er auch, was wir schon lange wissen, aber unsicher und schwankend wie er ist, kann er sich auch nicht zu einer endgültigen Liebeserklärung hinreißen lassen, so daß die Dinge in der Schwebe bleiben. Alles geht haarscharf so zu, wie im wirklichen Leben, der Humor ist weich, der Blick wie immer unbedingt genau, das ganze Gefühl stimmt einfach, jenes unnachahmliche Rohmer-Gefühl, das hier nach einer längeren Pause wieder voll erblüht ist und für mich auch nach so vielen Filmen noch nichts von seiner Magie eingebüßt hat. Ohne jeden Zweifel der definitive Sommerfilm '96, komme, was da wolle. (17.7.)