"Persuasion" (Verführung) von Roger Mitchell. England, 1995. Amanda Root, Ciaran Hinds, Susan Fleetwood, Fiona Shaw
Die Romane Jane Austens sind, dieses festzustellen bedarf es keiner prophetischen Gaben mehr, eine sichere Bank für solide, kommerziell lukrative Literaturfilme aus einem England, wie wir es alle gern hätten, unter anderem, weil es in so tröstlicher Entfernung liegt. Und wenn man sich erst, was ja im Falle George Eliots bereits geschieht, auch all der schreibenden Zeitgenossen und -genössinnen erinnert, dürfte der Stoff in den kommenden Jahren erst mal nicht ausgehen. Im Frühjahr bescherte uns Ang Lee bereits seine vortreffliche Version von "Sense and Sensibility" und nun trudelt rechtzeitig zum Weihnachtsverkauf "Persuasion" ein, vom deutschen Verleih genauso wie der andere Film konsequent am eigentlichen Sinn vorbei übersetzt, denn mit Verführung haben wir es bei Jane Austen höchst selten zu tun, vielmehr mit Überredung.
Anne Elliot hat einst auf den Mann verzichtet, den sie liebte, weil sie wohlmeinenden Ratschlägen einer standesbewußten Lady gefolgt ist. Acht Jahre später trifft sie ihn wieder. Sie hat ihn nicht vergessen, und er sie nicht, und diesmal wird die Sache zum Happy End gebracht, während all die Hofschranzen und dünkelhaften Gecken vom höheren oder niederen Adel in Bath und auf dem Lande mit offenem Mund daneben stehen. Es geht also um eine Frau, die sich schließlich doch über Sitte und Gepflogenheiten hinwegsetzt und allein ihrem Gefühl folgt. Während ihre übrigen Familienmitglieder als lächerlich aufgeputzte Narren in Bath um gute Partien buhlen, hält Anne sich lieber an die Menschen, die sie wirklich mag, und betrachtet die anderen aus stiller, aber kritischer Distanz. Ihr eher im Innern ausgetragener Kampf gegen die Schranken der Gesellschaft und ihre Regeln dauert lange, doch er ist erfolgreich, nicht zuletzt weil sie um sich herum kein Argument dafür erblicken kann, noch länger nach diesen Regeln zu leben. Die Leute sind egoistisch, hohl, eitel, geltungssüchtig, weinerlich und töricht. Einfältige Landeier, die ehrfurchtsvoll von der großen Welt in Bath raunen, die sich dann wiederum als, wenn auch auf Hochglanz getrimmtes, Spiegelbild ländlicher Verhältnisse entpuppt, denn auch in der Stadt herrschen Klatsch, Ränke, Intrige, Selbstmitleid und Berechnung. Jane Austen ist keine Autorin, die solche Verhältnisse mit besonderer Schärfe bloßlegt, doch ihre Ironie ist um so effektiver, da sie ganz unauffällig und leise daherkommt und sich irgendwann als dauernder Grundton etabliert hat. Mitchells Film ist nicht so überschwenglich und temperamentvoll wie "Sinn und Sinnlichkeit", er hält sich eher an den Stil des Romans, das heißt er ist ruhig und aufmerksam, beobachtet die Leute und ihr Milieu genau und setzt weniger auf gute Laune denn auf sorgfältige Studien. Das soll jetzt Ang Lees Film nicht abwerten, die beiden gehen nur von unterschiedlichen Konzepten aus. Auch Mitchell bedient sich gelegentlich der gröberen Karikatur, und wo ein guter Scherz angebracht ist, da kommt er auch, aber insgesamt sind Optik und Akustik nicht so auffällig, fehlen dem Film jegliche Stars (was aber nicht heißen soll, daß die Schauspieler nicht vortrefflich sind) und ist das Tempo durchgehend sehr gesetzt. Dabei geht es dennoch überaus stimmungsvoll und unterhaltsam zu, nur kommt der Film dem Zuschauer nicht in gleichem Maße entgegen wie "Sinn und Sinnlichkeit". "Verführung" ist beileibe kein elitäres Kunstwerk, das nur von Jane-Austen-Kennern goutiert werden kann, aber ganz so leicht wird einem der Konsum hier nicht gemacht. Geschmackssache halt, und für meinen Geschmack ziehe ich diesen Film hier ein wenig vor, jedenfalls wenn es um die Literatur geht. (20.12.)