"Kavkazski plennik" (Gefangen im Kaukasus) von Sergej Bodrow. Kasachstan/Rußland, 1996. Oleg Menschikow, Sergej Bodrow jr., Djemal Sikharulidze, Susanna Mekhraliewa, Valentina Fedotowa
Das Thema ist so zeitlos und alt wie die dem Filme zugrundeliegende Novelle von Tolstoj, und es wird auch in hundert Jahren ebensoviel Gültigkeit besitzen wie jetzt: Menschen im Krieg, wie aus Freunden Feinde werden und umgekehrt. Ob es nun, wie in diesem Falle um den Krieg in Tschetschenien geht oder um irgendeinen andere, spielt gar keine Rolle, was auch Bodrow deutlich macht und sich gar nicht erst auf eine detailliertere historische Einordnung einläßt. Es geht nicht um Zeitgeschichte sondern vielmehr um eine elementare Situation: Zwei Soldaten werden von ihren Feinden in den Bergen gefangen genommen und sollen gegen den Sohn des Dorfvorstehers ausgetauscht werden. Der Tausch an sich scheitert mehrmals, die beiden Soldaten versuchen einen Ausbruch , der den älteren das Leben kostet, der von den Russen gefangene Sohn wird ebenfalls erschossen, doch als der Vater Rache an dem zweiten russischen Gefangenen nehmen will, durchbricht er den Kreislauf der Gewalt und schießt daneben. Diese menschliche Geste allerdings hilft weder ihm noch den anderen Dorfbewohnern: Im letzten Bild des Films sieht man vier russische Kampfhubschrauber in die Berge fliegen. Die Parallele der Bilder und Assoziationen ist dabei schon erstaunlich: Wie einst im Vietnamkrieg sind auch hier die Hubschrauber Symbol für Tod und Vernichtung, für den Krieg einer hochtechnisierten Supermacht gegen ein einfaches Volk, das sich mit seinen eigenen Mitteln, zumeist denen des Guerillakrieges, zur Wehr setzt.
Bodrow führt eine langsame menschliche Annäherung zwischen Tschetschenen und den beiden Russen vor, die allerdings immer wieder schmerzhaft zerstört wird und rohe Gewaltausbrüche. Sascha, der ältere der beiden, hat bereits drei Kriege mitgemacht und keine Illusionen mehr über Menschlichkeit. Krieg ist Krieg, Feind ist Feind und wird entsprechend behandelt. Dem Tod sieht er am Ende eher gelassen entgegen, zumal das Leben außerhalb des Krieges wenig Attraktionen für ihn bereithält. Wanja hat noch viel vor sich und will nicht sterben. Er verliebt sich zudem in ein Mädchen aus dem Dorf, das ihm auch zur Flucht verhelfen will. Sicherlich steht seine Person für die Hoffnung auf Versöhnung und Verständigung, doch der übermächtigen, anonymen Präsenz der Hubschrauber kann er nur hilfloses Geschrei und die ohnmächtige Erkenntnis entgegensetzen, daß er die Menschen, die ihm ans Herz gewachsen sind, nie wiedersehen wird. Bodrow geht dramaturgisch sehr geschickt vor. Immer wenn es ein wenig zu sehr menschelt, zieht er die Spannung urplötzlich an, erinnert uns wieder daran, daß es bei alledem dennoch um Leben und Tod geht, daß Mord und Gewalt jederzeit hervorbrechen können und daß an eine Idylle vor grandiosem Bergpanorama nicht zu denken ist. Der Film ist nicht ganz so finster und verzweifelt wie die viele seiner Landes- und Zeitgenossen, doch der nüchterne, aller Beschönigung entkleidete Blick tritt auch hier zutage. Gerade das Aufeinanderprallen menschlicher Regungen und brutaler Kriegshandlungen macht die Wirkung des Films aus, der sich sowohl künstlerisch als auch inhaltlich einreiht in das wohl beachtenswerteste nationale Filmschaffen der letzten zehn Jahre, an dem Bodrow selbst vor einigen Jahren mit dem grandiosen 'Freiheit ist ein Paradies' ja bereits seinen Anteil hatte. (27.5.)