"Career Girls" (Karriere Girls) von Mike Leigh. England, 1996. Katrin Cartlidge, Lynda Steadman, Kate Byers, Mark Benton, Andy Serkis, Joe Tucker
Karriere haben Hannah und Annie nicht eigentlich gemacht, als sie sich nach sechs Jahren in London wiedertreffen, aber immerhin sind sie aus dem Gröbsten raus. Einst teilten sie als Studentinnen (Literatur bzw Psychologie) eine abgerissene Bude und einige andere merkwürdige Dinge, die man als Student so teilt, und nun wohnt die eine in der Provinz und die andere immer noch in der Stadt. Beide leben mal wieder allein und sind mit ihren Jobs mehr oder weniger unzufrieden, aber man schlägt sich halt so durch. Man trägt gepflegte Mittdreißigerkleidung und Neurodermitis und andere nervöse Ticks sind weitgehend unter Kontrolle, schlummern unter der Fassade eines geregelten und im Rahmen gängiger Konventionen ablaufenden Lebens. Glücklich sind die beiden im eigentlichen Sinne nicht, und sie werden es auch dadurch kaum, daß ihnen im Laufe eines kurzen gemeinsamen Wochenendes allerhand Geister der Vergangenheit über den Weg laufen, die sie an schöne und vor allem weniger schöne Erlebnisse von einst erinnern. Man hörte The Cure, hing in Pubs rum, ließ sich von absolut bescheuerten Typen vollquatschen und schon mal abschleppen und mauerte Gefühle hinter irgendwelchen Macken ein. Annie (die mit der kaputten Haut) war weicher, verletzlicher und Hannah die laute, aggressive, bissige. Die spitze Zunge hat sie behalten, aber schließlich ist sie dann doch in der Lage, Gemütsregungen auch mal zuzulassen, erst recht als sie Annie am Bahnhof verabschiedet und die beiden in einem Anfall von Nostalgie erkennen, wieviel sie doch verbindet, obwohl sie so verschieden sind.
Mike Leigh hat einen sehr schönen, mal komischen, mal melancholischen Film darüber gedreht, wie man sich mit der Zeit arrangiert und einlebt sozusagen, was übrigbleibt von alten Zeiten, was vor allem von den Freundschaften bleibt, was von den Verrücktheiten, wie man aber andererseits auch reift, was speziell Hannah sehr gut getan hat. Sie ist so etwas wie eine kleine Schwester von Johnny aus "Nackt", stets auf Abwehr, immer gegen einen möglichen Feind gerichtet, mit hektisch fuchtelnder Gestik und betont rauher Sprache. Sie heult nie, oder fast nie, braucht nichts und niemanden und ist fest entschlossen, nur ja keine Sentimentalität aufkommen zu lassen. Sechs Jahre später wirkt sie zwar noch immer sehr verschlossen, aber doch entspannter und ausgeglichener. Ihr beißender Spott richtet sich nicht länger gegen schlichtweg alle Mitmenschen, sondern nur noch gegen die, die ihn verdient haben. Anfangs hat sie der schüchternen, etwas biederen Annie wenig zu sagen, aber allmählich kommen die beiden Freundinnen dann doch zusammen. Leigh weitet das Porträt nicht betont auf eine größere Gruppen von Leuten aus, aber dennoch lassen sich viele Einzelheiten natürlich auf die ganze Generation übertragen. Die Ziel- und Richtungslosigkeit der später Thatcherjahre haben einige nie überwunden und hängen nun als ewige Freaks und Verlierer in den Städten rum. Andere machen als Makler und Handybesitzer im aufgemotzten Docklandviertel der strahlend optimistischen Neunziger einen geschäftigen und coolen Eindruck, von man sich aber tunlichst nicht täuschen lassen sollte. Die allermeisten, wie Hannah und Annie, haben sich auf ein moderates, annehmbares Niveau eingependelt, ohne größere Höhen und Tiefen, aber auch weitgehend außer Absturzgefahr. Wie er/sie nun dazu steht, bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen - viele werden sich ohnehin darin wiederfinden. Leigh verteilt seine Sympathien wie gewöhnlich, ohne zu der giftigen Schärfe von "Nackt" zurückzukehren. Distanzierte Analysen waren von jeher nicht sein Fall, also verlegt er sich auf die menschliche, eher mitfühlende Ebene, ohne dabei den Sinn für größere Zusammenhänge und vor allem für Humor zu verlieren, womit die Gefahr reiner, unproduktiver Nostalgie von vornherein ausgeschlossen ist. Sein Interesse gilt nicht den großen Geschichten, den glanzvollen Helden, sondern schaut ein paar Etagen tiefer nach. Weiterhin also macht er seine Filme außerhalb der Kommerznorm, ohne dabei zur stereotypen Zeigefingerpädagogik zu greifen oder in feierliches Predigen zu verfallen, und gerade das macht auch die Stärke von "Career Girls" aus, der sich nahtlos in Leighs Gesamtwerk einfügt. (18.8.)