"Artemisia" (#) von Agnès Merlet. Frankreich/Italien, 1997. Valentina Cervi, Michel Serrault, Miki Manojlovic, Luca Zingaretti
Artemisia ist die Tochter des bekannten Fresken- und Porträtmalers Gentileschi, hat selbst hohe künstlerische Ambitionen, ist vom nackten Männerkörper besessen, geht zu einem Kollegen ihres Vaters in die Lehre, wird seine Geliebte und zum Gegenstand öffentlichen Ärgernisses, weswegen der Geliebte ins Gefängnis und sie fortan ihren eigenen Weg gehen muß, was sie auch erfolgreich tut.
Eine Frau also, die auf eigenen Füßen stehen, ihren Stil, ihre Kunst finden möchte und die auch in der Sexualität mehr Freiheit sucht, als gemeinhin erlaubt ist, zumindest für Frauen. Denn wir schreiben das frühe siebzehnte Jahrhundert in Italien, die Päpste und die männliche Doppelmoral regieren, und was für einen Mann Recht ist, ist für die Frau noch lange nicht billig. Artemisia wird geächtet, als Hure beschimpft, gefoltert, denn wenn es schon suspekt genug ist, daß eine Frau Malerin werden will, dann ist es natürlich komplett skandalös, wenn vor Gericht nicht enden wollende Studien des männlichen Geschlechtsteils oder aber grausame biblische Szenarien entblättert werden, Früchte ihrer wilden, ungezügelten Fantasien und Wünsche und der Unterdrückung derselben. Der Vater meint es gut, verteidigt sie auch als Frau gegen die Arroganz der männlichen Mitschüler, doch die sexuelle Freizügigkeit (und auch die künstlerische Fortschrittlichkeit, die sich über seine biederen Innenraumgemälde hinwegsetzen) der Tochter kann er nicht dulden und verklagt den Kollegen auf Vergewaltigung. Die öffentliche Empörung gibt dem Angeklagten immer wieder die Chance, sich zu retten, weil zweierlei Maß angelegt werden und Artemisia gesellschaftlich sowieso erledigt ist. Sie will ihre Freiheit, will nur für sich malen und nicht für irgendeinen Gönner, der ihr nur langweilige Porträts abverlangt, sie sucht die große Herausforderung, als Künstlerin und Mensch.
Ein optisch brillanter, überaus schöner und vitaler Film, der ein sehr lebendiges Zeit- und Menschenbild entwirft, den Personen stets dicht auf den Fersen ist und die Probleme Artemisias als Frau im ausgehenden Mittelalter mit Gefühl und Intensität verdeutlicht. Ein Film auch über Kunst, dabei aber nie gekünstelt oder nur auf schön getrimmt, sondern immer an Hintergründen und psychologischen Fragen interessiert. Er ist kritischer, offener, temperamentvoller und auch erotischer als vergleichbare, oftmals episch harmlose Werke und ragt deshalb als Künstlerbiografie deutlich heraus, und kann auch endlich mal wieder als ein sehenswerter Frauenfilm begrüßt werden. (11.8.)