"The Butcher Boy" (Der Schlachterjunge) von Neil Jordan. England/Irland, 1997. Eamonn Owens, Stephen Rea, Fiona Shaw, Sinéad O'Connor
Nach einem nur halbherzig politischen Erotikthriller und platt ausgewalztem Historienschmonses hat Meister Jordan mit diesem sperrig-brillanten Film zur Form seiner älteren irischen Balladen zurückgefunden, indem er die großen Ambitionen beiseite läßt und sich einfach nur auf eine Geschichte aus dem Land konzentriert, die es allerdings ganz schön in sich hat.
Francie wächst auf dem Land Anfang der Sechziger auf: In Übersee droht der Kalte Krieg zu eskalieren, die Angst vor einem Atomkrieg sowie die allgemeine Kommunistenhysterie erreichen jeweils ihre Höhepunkte, und per Fernsehen erfahren sogar die Iren etwas davon. Ansonsten suhlt man sich in Bier, Torf und Katholizismus, schön brav an der Oberfläche, und was darunter verborgen ist, will man besser nicht wissen. Francie ist ein ganz normaler, lebhafter, fantasievoller Junge, der halb in die Welt der Comic- und Westernhelden abtaucht, zumal sein Elternhaus desaströs ist: Der Vater ein frustrierter Trinker, die suizidgefährdete Mutter ein Fall für die Depressionsabteilung, und er selbst zumeist allein mit seinen Sorgen und Gedanken. Er klammert sich an seinen besten Freund und ist mit ihm vereint in Blutsbrüderschaft sowie in wilder Feindschaft den aus England zurückgekehrten, snobistischen Nugents, denen man bei jeder Gelegenheit eins auswischt. Nur werden Francies Streiche immer roher, und als die Autoritäten einmal zugreifen, kippt die bislang harmlose Balance und die Welt des Jungen gerät langsam aber sicher aus den Fugen. Er kommt in Heime, entwischt, wird wieder geschnappt und entwischt wieder, und darüber sterben seine Mutter, sein Vater, und auch die Freundschaft zu Joe geht kaputt, was dadurch zur kompletten Katastrophe wird, da sich Joe ausgerechnet mit dem Nugentungen anfreundet. Francie sieht rot, massakriert Mrs. Nugent und wird in der Psychiatrie zum lieben Lobotomiezombie zurechtgestutzt. Aber mit der Jungfrau Marie kann er sich noch immer bestens verständigen.
Eine streckenweise wild monströse Shownummer, die aber mit präzisen Beobachtungen und viel Gefühl den schrittweisen Verlust der Kindlichkeit und die fatalen Auswirkungen einer desolaten Umwelt auf Francies Kinderseele dokumentiert. Seine großmäulig frechen Sprüche werden immer schroffer und provokanter, sein soziales Verhalten immer aggressiver, als Mensch wird er immer unzugänglicher, und man spürt förmlich, wie der Junge immer mehr die Nähe zu sich selbst verliert. Gleichzeitig geht ihm auch jeder Begriff von Recht und Unrecht abhanden, er wird gewalttätig, jähzornig, sein Haß auf alles und jeden bricht schließlich unkontrolliert zutage, als er im Hause Nugent ein Gemetzel à la Manson anrichtet, mit blutbeschmierten Wänden und allem. Parallel z dieser bedrückenden und glänzend dargestellten Psychostudie stellt der Film auch eine karikaturistisch wüste Verzerrung gängige irischer Stereotypen dar und auf jeden Fall eine perfekt funktionierende Satire auf alle Versuche, Irland zu einem Kleinod ländlicher Idylle zu machen. Die typischen Stage Irishmen sind saufende, bigotte ungebildete Torfstecher, die Kirchenmänner entweder sabbernd geile Wichser oder drakonisch unterdrückende Erzieher und alle Formen von sozialem Zusammenhalt sind längst zerlaufen. In solch eine Atmosphäre wird man entweder fromm, oder säuft und oder läuft Amok, so wie Francie. Ein böser Film aus Irland, der auch nirgendwo anders entstehen könnte, sondern haargenau auf die Verhältnisse dort zugeschnitten ist. Jordans beste künstlerische Leistung seit Ewigkeiten, und Sinéad O'Connor ausgerechnet als Jungfrau Maria zu besetzen, ist natürlich genial und zeigt, daß die Gute doch noch über einen Funken Selbstironie verfügt. (19.5.)