"La vie revée des anges" (Liebe das Leben) von Erick Zonca. Frankreich, 1996. Elodie Bouchez, Natacha Régnier, Grégoire Colin, Jo Prestia, Patrick Mercado
Isa kommt nach Lille, sucht Arbeit und eine Bleibe, lernt Marie kenne, die eine Wohnung einhütet, zieht bei ihr ein, befreundet sich mit ihr, entfremdet sich dann wieder, besucht häufig ein Mädchen, das nach einem Unfall im Koma liegt und in dessen Wohnung sie wohnt, muß mitansehen, wie die verzweifelte Marie aus dem Fenster springt und zieht am Ende weiter.
Ein großer kleiner Film, der mal wieder beweist, daß man gar nicht soviel Geld und soviele Stars braucht, im Gegenteil. Mit einfachen Mitteln kann man sich viel eher auf die Menschen und ihr Leben, ihr Milieu konzentrieren, weil es kein Brimborium gibt, das davon ablenkt. So wie hier. Eine Geschichte zweier unterschiedlicher Frauen: Isa, die Streunerin, ist offen, lebhaft, geht auf Menschen zu und verkraftet auch Enttäuschungen, weil es immer etwas Positives gibt, das sich dagegen halten läßt. Marie ist introvertiert, unspontan, oft eher aggressiv und ablehnend, weil sie engen Kontakt fürchtet. Sie verliebt sich in einen Typen, der sie betrügt und ihr wehtut, kommt dennoch nicht von ihm los, und begeht schließlich aus Enttäuschung und Ausweglosigkeit Selbstmord. Beide leben im Prinzip in sehr ähnlichen Umständen, ohne viel Geld, ohne festen Job oder feste Bezugspersonen, doch was sie daraus machen, trennt sie am Ende. Marie stößt Isas beharrliche Annäherungsversuche immer verletzender zurück, weil Isas Freundlichkeit und Wärme sie überfordern, sie nichts zu erwidern hat. Isa ihrerseits muß tatenlos zusehen, wie ihre Freundin sich fertigmachen, demütigen läßt und sie versteht nicht, weshalb Marie sich nicht helfen läß0t oder sich nicht selbst wehrt. Parallel dazu macht sie per Tagebuch Bekanntschaft mit dem Mädchen, das mit seiner Mutter in besagter Wohnung gelebt hat. Was Marie als krasse Indiskretion und unerlaubte Einmischung ablehnt, ist für sie eine ganz normale Neugier, ihre Art, am Leben anderer Menschen teilhaben zu wollen. Sie besucht das Mädchen oft im Krankenhaus, wird wohl aber auch sie verlieren, weil sie nach Komplikationen kaum noch Überlebenschancen hat. Weiterhin sehen wir Isa und Marie auf gemeinsamen Unternehmungen, auf Job- oder Männersuche, einfach auf Streifzügen durch eine winterlich unfreundliche und sowieso ziemlich triste Stadt, die ihren Bewohnern an sich schon wenig Wärme zu geben hat. Ein sehr schöne, gefühlvolle und hochintensive Gesellschafts- und Beziehungsstudie, mal lebhaft und komisch, mal beklemmend und traurig, getragen von zwei ganz wunderbaren Schauspielerinnen, die den Stoff noch mal in eine andere Dimension transportieren und wirklich beeindruckend sind. Leider sind Filme wie dieser in den letzten Jahren auch im französischen Kino etwas seltener geworden, und man kann nur hoffen, daß sein Erfolg dazu beiträgt, daß auch solche Produktionen noch eine Chance haben, denn neben vergleichbaren englischen Milieufilmen gehören sie zum besten, was aus Europa in die Kinos kommt. (27.10.)