"Primary Colors" (Mit aller Macht) von Mike Nichols. USA, 1997. John Travolta, Emma Thompson, Billy Bob Thornton, Kathy Bates, Larry Hagman

Jack Stanton heißt er, der smarte Präsidentschaftskandidat aus dem Süden, aber eigentlich fällt uns natürlich ein ganz anderer Name ein, zumal jetzt im Moment, wo die Lewinsky-Affäre sozusagen in aller Munde ist. Und obwohl Clinton der erfolgreichste Präsident seit langem ist, hat er mehr literarische und filmische Satiren inspiriert als seine belämmerten Vorgänger, die weißgott mehr als genug Anlaß geboten haben. Der anonym veröffentlichte Roman 'Primary Colors' hat vor ein paar Jahren bereits einiges Aufsehen erregt als eine scharfe Attacke auf die Diskrepanz zwischen öffentlicher Erscheinung und privater Moral eines ambitionsreichen Politikers, und Mike Nichols und seine Drehbuchautorin Elaine May haben sich viel Raum und Zeit gelassen, um ihrerseits diesem Aspekt die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Sie begleiten einen jungen Schwarzen, der frisch zur Kampagne stößt und unversehens in einen Strudel aus kalkulierten Inszenierungen quer durchs Land und kaum vertuschbaren Skandälchen in Privatgemächern gerät, vom Menschen und Politiker Stanton bitter enttäuscht wird, sich schon von ihm abwenden will, um dann doch noch überredet zu werden und den Wahlkampf zum erfolgreichen Ende zu bringen. Klar ist am Ende allerdings auch, daß Stanton nur deshalb gewonnen hat, weil sein kurzfristig eingesprungener Konkurrent einen lang zurückliegenden, für ihn fatalen Skandal am Hals hat und aus Angst vor öffentlicher Zerfleischung zurückzieht.

Zunächst also eine gerade jetzt hockaktuelle Mediensatire, die gar nicht hart genug sein könnte: Wie ausgehungerte Aasfresser stürzen sich Zeitungsleute aller Couleur und natürlich die jeweiligen Späher der Kandidaten auf jedes noch so unbedeutende biografische Detail, stets bereit, jede kleine Verfehlung groß aufzubauschen und aus ihr die pompöseste moralische Anklage zu fabrizieren. Eine widerwärtige, bigotte, heuchlerische und zutiefst verabscheuungswürdige Sensations- und Profilierungsgeilheit, die schon vielen Leuten den Kopf gekostet hat.

 

Zum zweiten natürlich eine Politsatire, die sehr gut losgeht und eine erfrischende, witzige und spitzzüngige erste Hälfte vorweisen kann, bevor es dann in der zweiten Stunde so langsam bergab geht mit der Stimmung, der Spannung und der Spannkraft. Sobald in solchen Filmen die Sentimentalität das Kommando übernimmt, ist Vorsicht geboten, und leider treten später im Film vor allem zwei Figuren auf, die stark in diese Richtung tendieren. Kathy Bates verkörpert eine alte Freundin der Stantons, einen ruppigen Haudegen, die Frau für's Grobe, die unermüdlich kämpft und rackert, ohne dem Herrn allerdings irgendwie unterwürfig zu begegnen, sondern ihn im Gegenteil anzupissen wo sie nur kann. Urplötzlich mutiert sie dann allerdings zur großen Märtyrerin der Bewegung, als sie sich enttäuscht und desillusioniert das Leben nimmt, weil sie einsieht, daß Stanton genauso verlogen ist wie all seine Amtskollegen. Dieser Selbstnord ist pathetisch und unpassend, trifft aber den Ton der zweiten Halbzeit ganz gut. Larry Hagman tritt als der Konkurrent auf, ein ehrlicher, aufrechter Mann von altem Schrot und Korn, der einst vor -zig Jahren ein paar Drogen geschluckt und halt ein bisserl über die Stränge geschlagen hat. Er bricht zusammen, als Stanton ihm klarmacht, was die Öffentlichkeit mit ihm und seiner Familie tun wird, wenn er weiter kandidiert. Auch diese Figur ist höchst pathetisch, weil weder ironisch gebrochen noch überzeichnet angelegt und paßt vor allem nicht zu Stanton, der seinerseits die perfekt gestylte Karikatur ist. John Travolta zeigt für meinen Geschmack die beste Darstellung, die ich von ihm kenne, weil er an den richtigen Stellen dick aufträgt, und sich dann haargenau zum passenden Zeitpunkt zurücknimmt, damit es nicht zu schrill und platt wird. Eine bemerkenswerte Charakterstudie eines Südstaatlers mit Herz und Seele, liebenswert konservativ und macho, mit Gefühl für Land und Leute, ein großes Kind eigentlich, das einfältig, unselbstkritisch und mit grotesker Destruktivität durch das Leben pflügt, reihenweise Mitmenschen verletzt und es nicht einmal zu merken scheint. Seine Frau, gespielt von der fabelhaften Emma Thompson, die dann leider später auch etwas untergeht, muß all die Demütigungen und Kränkungen einstecken, all die Seitensprünge und Vaterschaftsverdächtigungen schluckt im Dienst der Sache und der öffentlichen Fassade. Dabei beleidigt er konstant ihre Intelligenz, denn sie ist ihm in dieser Hinsicht weit überlegen, verfügt nur nicht über seinen entwaffnenden Jungencharme, mit dem er sich über manche Krise hinwegrettet. Seine ungelenken und hölzernen Gegner überflügelt er nicht durch politische Kompetenz, sondern durch Schlagfertigkeit und rhetorisches Geschick, das eher seinem Instinkt als seiner intellektuellen Überlegenheit entspringt. Die Aufgabe des Beraterstabs liegt also sehr darin, ihn um alle Klippen herumzumanövrieren und das Ausmaß der Katastrophen und Blamagen in heilsamen Grenzen zu halten. Ein wild galoppierender Gaul, der mühsam gelenkt und kaum kontrolliert werden kann. Wenn Nichols es so wie Tim Robbins in seinem glänzenden 'Bob Roberts' verstanden hätte, das Niveau durchzuhalten, wäre eine beeindruckende Analyse der gegenwärtigen Politkultur in den USA entstanden. Das kontinuierlich nachlassende Drehbuch, dem spürbar Biß und Witz ausgehen, ist vornehmlich Schuld am Mißlingen dieses Projekts, das aber wenigstens in Ansätzen zeigt, daß man in diesem Land auch noch anspruchsvollere Filme machen kann, ohne gleich völlig im Abseits zu landen. (21.9.)