"American History X" (#) von Tony Kaye. USA, 1998. Edward Norton, Edward Furlong, Avery Brooks, Fairuza Balk, Beverly D'Angelo, Stacy Keach
Derek lebt mit Familie in Venice Beach. Sein Vater wird sinnlos erschossen, und fortan zieht sich Derek immer mehr in die rechtsradikale Ecke. Er wird zum knallharten Skin mit Hakenkreuz auf der Brust und zunehmender Entfremdung in der Familie. Den neuen Freund seiner Mutter, einen Juden, jagt er aus dem Haus, mit der Schwester, die liberal denkt, prügelt er sich erbittert, und nur Danny, der junge Bruder, sieht zu ihm auf. Eines Nachts versuchen zwei Schwarze sein Auto zu stehlen. Er tötet sie kaltblütig und geht für drei Jahre in den Knast. Als er rauskommt, ist er von seinem Fanatismus geheilt, dafür hat sich Danny der Bewegung angeschlossen. Derek versucht alles, um mit der Vergangenheit aufzuräumen und seinen Bruder vor schlimmeren Einflüssen zu bewahren, doch es ist zu spät.
Ein Film nicht ohne Klischees, selbstgefällige Visualeffekte oder merkwürdige inhaltliche Akzente, aber trotzdem ein wichtiger, in vieler Hinsicht beeindruckender Film mit tollen schauspielerischen Leistungen und präzisen, prägnanten Milieudarstellungen. Im ständigen Wechsel zwischen Schwarzweiß und Farbe arbeitet Kaye eine komplexe Geschichte auf, die Geschichte eines radikalen Nazis, der in der Bewegung zum Märtyrer wird, die Geschichte einer Familie, die durch die Schicksalsschläge fast zerbricht und die Geschichte zweier Brüder, denen ihre Nähe zueinander wohl zum Verhängnis wird. Dereks innerer Wandel wird anhand einiger Szenen aus dem Knast erläutert, wo er sich zunächst wieder der Nazis anschließt, dann Ärger kriegt, von ihnen vergewaltigt wird und gleichzeitig Freundschaft mit einem Schwarzen schließt. Das ist zwar recht stereotyp, aber sehr wirkungsvoll, und so funktioniert auch der überwiegende Rest des Films. Tiefgründig differenzierende Analysen sind hier nicht zu erwarten, lieber demonstriert Kaye seine beträchtliche Kunstfertigkeit, mit emotional stark aufgeladenen Bildern die Zuschauer zu fesseln und zu manipulieren. Aber es gelingen vortreffliche Momente, in denen beispielsweise Dereks Verantwortungsgefühl für die Familie geschildert werden, sein ständiges Schwenken zwischen Zärtlichkeit und aufbrausendem Haß, oder der Kampf eines sozial engagierten Schuldirektors, der die Brüder nicht aufgeben will, weil er weiß, daß sie eigentlich zu klug sind, um dem dumpfen Geschwafel des ortsansässigen Chefideologen auf die Dauer folgen zu wollen. Die Kamera ist immer unheimlich dicht am Geschehen, dicht dran an den Menschen, ihren Gesichtern, ihren Gesten, sie illustriert Kayes Engagement gegen rechtsradikalen Terror, gegen Rassismus in jeder Form. Zum Schluß wird Danny, der eigentlich auch schon geläutert wurde, von einem schwarzen Jungen auf dem Schulklo erschossen. Derek nimmt diesen Tod auf seine Kappe, aber trotzdem besteht doch die Gefahr, daß wir nun Danny als Märtyrer verstehen, als unschuldigen Weißen, der nun wieder vom bösen Schwarzen getötet wird. Natürlich gibt es den Ghettos Gewalt in beide Richtungen, aber gerade am Ende dieses Films bleibt ein komischer Nachgeschmack. Wie gesagt, es ließe sich vielleicht einiges aussetzen hier, und sicherlich wäre auch die Kaye beabsichtigte Schnittfassung interessant, zumal sie sich ja doch beträchtlich von dieser hier unterscheiden soll. Aber alles in allem ist doch ein starkes, aussagekräftig Stück Kino entstanden, das ich auf jeden Fall dem üblichen kommerziellen Durchschnittsbrei vorziehe, und das seine überaus vielseitigen künstlerischen Mittel sehr effektvoll einzusetzen weiß. Zudem findet man dieses Thema im US-Film eh nicht allzu oft, ganz so, als hätten die da drüben gar keine Probleme damit. (23.3.)