"Hilary & Jackie" (#) von Anand Tucker. England, 1998. Emily Watson, Rachel Griffiths, James Frain, David Morrissey, Charles Dance, Bill Paterson
Die Geschichte der Schwestern du Pré, die im England der Fünfziger in musikalischem Hause aufwachsen und sich bald auch als Kindersolisten profilieren. Hilary die Flötistin ist zunächst besser als Jackie die Cellistin. Doch die jüngere Jacqueline macht den Rückstand mit besessenem Eifer wett und entpuppt sich alsbald als Wunderbegabung, die rasch entsprechend gefördert und zum Star gepusht wird. Während Hilary die 'Niederlage' und ihr allgemeines Scheitern als Musikerin eingestehen muß und sich mit Mann und Kindern aufs Land zurückzieht, wo sie allerdings glücklich und ausgeglichen lebt, stürzt sich Jackie unvorbereitet in die große Welt, den Künstlerjetset zwischen Moskau und Berlin, ehelicht hastig den ehrgeizigen Daniel Barenboim, führt eine Ehe zwischen Koffer und Konzertsaal und taucht nur noch für kurze Gastspiele zu Hause in England auf. Frustriert von diesem Leben nistet sie sich schließlich bei Hilary auf dem Land ein und erzwingt eine ménage à trois, die sie letztlich nur noch einsamer zurückläßt. Sie erkrankt an multipler Sklerose, die sie an den Rollstuhl fesselt, ihr das Cellospielen unmöglich macht und sie schließlich mit zweiundvierzig Jahren 1987 sterben läßt.
Eine Künstlerbiografie, aber nur zum Teil, eher noch ein Film über zwei Schwestern, die ihr Leben lang, so verschieden die Entwicklungen auch verlaufen mögen, dennoch fast telepathisch miteinander verbunden sind und deren Nähe Außenstehende oft in Erstaunen versetzt. Trotzdem sind sie denkbar verschieden: Die ruhige, eher bescheidene Hilary, die genügsam und in sich ruhend ihr Glück findet, und die extrovertierte, selbstsüchtige Jackie, gewohnt, zu bekommen was immer sie begehrt, zutiefst unsicher und ständig nach Bestätigung heischend, enttäuscht und verzweifelt über das unstete, hohle und einsame Künstlerleben, das sie zwar zum Star, sie aber nicht glücklich macht. Ihre Zeit bei Hilary und Kiffer macht diese Zerrissenheit deutlich. Auf der einen Seite die Verletzlichkeit und fast kindliche Sehnsucht nach Geborgenheit, auf der anderen Seite der berechnende Machthunger und ihre Rücksichtslosigkeit den Gefühlen ihrer Schwester gegenüber. Der Film verfährt an dieser Stelle sehr geschickt, denn er präsentiert die zwei Varianten ein und derselben Zeit: Zunächst Hilarys Entwicklung, dann Jackies, und so lernen wir sie natürlich beide besser kennen und verstehen und lernen, daß man nicht so einfach verurteilen, sondern erstmal fragen und nach Gründen forschen sollte. Denn natürlich ist Jackie auch Opfer ihrer Förderer, die nicht bedachten, daß ein junges Mädchen von noch nicht mal zwanzig wohl kaum verkraften kann, was da so plötzlich über sie hereinbricht und ihr Leben tiefgreifend verändern wird. Anders als Hilary hat sie keine Zeit, zu sich selbst zu finden, ihren Weg zu suchen, sich über Wünsche, Träume und Ideale klar zu werden, weil alles zu schnell und rastlos vor sich geht und sie einfach mitgerissen wird.
Künstlerisch bietet der Film Delikatessen vom feinsten. Brillante Schauspieler - Watson und Griffiths natürlich allen voran -, schöne Bilder und allerlei musikalische Delikatessen, alles sehr ausdrucksvoll und intensiv verschmolzen und mit großen, bewegenden Gefühlen auf die Leinwand gebracht. Ein Film, der durchgehend gefangen nimmt und niemals langweilt, selbst wenn die Geschichte selbst mal nicht ganz so interessant ist. Die Biographie scheint gegen Ende überaus gerafft - man kann nicht fassen, daß Emily Watson zum Schluß plötzlich über vierzig sein soll -, aber das Gewicht liegt halt woanders, nämlich auf dem Verhältnis der beiden Schwestern, und da gelingen in den ersten zwei Dritteln sehr schöne und beeindruckende Szenen, die dann den etwas zu stark verkürzten Schluß vergessen lassen. Kino mit großer Geste, aber auch mit echter Substanz hinter der Fassade. (10.8.)