"My Name is Joe" (#) von Ken Loach. England, 1998. Peter Mullan, Louise Goodall, Gary Lewis, Lorraine McIntosh, David McKay
Über alle Ken-Loach-Filme die ich kenne, mit Ausnahme der beiden letzten über die internationale Solidarität, kann man mehr oder weniger dasselbe sagen. Bei fast jedem anderen Regisseur wäre das tödlich und zeugte von Stagnation, bei Loach aber bedeutet das lediglich, daß der Mann seit dreißig Jahren sein Niveau gehalten hat und sich treu geblieben ist. Es geht noch immer um das Leben der kleinen Leute und um ihren täglichen und unaufhörlichen Kampf ums Überleben in einem Land, das für Arbeitslose, Drogensüchtige, Alkoholiker und andere nicht gerade sehr viel Wärme bereithält. Und wie immer beweist Loach auch hier wieder die große Gabe, Gefühl von Kitsch zu trennen, sich zwar ganz und gar auf Seite der Verlierer zu schlagen, aber dennoch den klaren Blick auf die harte Realität zu wahren. Das ist wie gesagt eine echte Kunst, und deshalb sind seine Filme, so wie dieser, auch Kunstwerke, ohne daß sie danach aussehen. Große Worte und Gesten haben sie nicht nötig, sie sprechen ganz souverän für sich.
Joe ist seit ein paar Wochen trocken, trainiert eine Fußballmannschaft und verliebt sich in die Sozialarbeiterin Sarah. Sein Engagement für den Ex-Junkie Liam und seine zerrüttete Familie bringt ihn schließlich in Schwierigkeiten, denn er macht einen Deal mit dem lokalen Gangsterboß, gefährdet die Beziehung zu Sarah, zumal als die schwanger wird, und kann Liams Tod letztlich doch nicht verhindern. Doch es gibt Hoffnung: Nach der Beerdigung geht Sarah mit ihm zusammen fort.
Es gibt immer Hoffnung in Loachs Filmen, muß sie einfach geben, denn weshalb sonst sollten er und seine Personen weitermachen? Bei all dem Frust, all den Krisen, allen Sorgen und Nöten muß es etwas geben, das Leben und Filmemachen lohnenswert macht, und das sind bei Loach stets die etwas optimistisch stimmenden, oder jedenfalls nicht völlig deprimierenden Ausblicke, die dabei gar nichts mit billigen Happy Endings zu tun haben. Denn von Happiness kann hier trotz allem keine Rede sein: Joe hat sich wieder betrunken, einer seiner Freunde, der ihm vertraute, hat sich erhängt, und was mit Sarah wird, ist weißgott ungewiß. Ziemlich schnell merkt man, daß diese Geschichte voller brüchiger Konstellationen ist: Joes Alkoholismus ist noch längst nicht besiegt, das weiß er selbst am besten. Seine Beziehung zu Sarah ist vor allem von gegenseitigen Vorbehalten und Ängsten geprägt, wobei man über sie wenig erfährt, von ihm aber weiß, daß er seine letzte Freundin im Suff grün und blau geschlagen hat. Beruflich gibt es rein gar keine Perspektiven: Man trifft sich allwöchentlich auf dem Sozialamt und schlägt sich mit Schwarzarbeit durch, wobei man immer auf der Hut sein muß, daß man nicht von einem Schnüffler dabei geknipst wird. Schließlich ist da noch das fatale Wechselspiel aus Drogensucht und Kriminalität, das die Halbwelt ernährt, die Junkies aber nur in zusätzliche Abhängigkeiten bringt. So sieht's aus in Bonnie Scotland, das bei Loach natürlich keine Postkartenidyllen zu bieten hat, sondern nur triste, halb verfallene Wohngebiete und andere unwirtliche Lebensräume. Aber es gibt da auch noch Leute, die sich einsetzen, die für ihre Mitmenschen arbeiten, sich kümmern, sich sorgen, auf die eine oder andere Art. Sarah ist so ein Mensch, und auch Joe, auch wenn der schließlich übers Ziel hinausschießt, sich selbst in illegale Aktionen verstricken läßt und den Lauf der Dinge nicht mehr stoppen kann. Dennoch ist er jemand, der Verantwortung für andere tragen möchte und sich ihrer bewußt ist. Wie gewohnt ist der Blick auf die Menschen einfach und direkt, die Schauspieler sind großartig und sehr natürlich, und ob in komischen oder tragischen Szenen, stets kommt das tiefe humane Engagement des Regisseurs zum Ausdruck, das manche vielleicht altmodisch finden, das ich aber gegen jeden Hollywoodfilm ungesehen eintauschen würde. Ein Film eines Regisseurs, der nicht nur ein möglichst kassenträchtiges Routineprodukt unter seinem Namen abliefert, sondern dem das, was er zeigt, wirklich etwas bedeutet, was man in jeder Szene spürt, und deshalb ein wunderbarer Film. (20.1.)