"St. Pauli Nacht" von Sönke Wortmann. BRD, 1998. Benno Fürmann, Christian Redl, Armin Rohde, Valerie Niehaus, Oliver Stokowski, Maruschka Dettmers, Ill-Young Kim, Peter Sattmann, Axel Milberg

Wie wir in den letzten Wochen erfahren haben, geht's in Berlin und in Holzwickede gewaltig los, tobt das Leben in breiter Front. Nun erbringt Sönke "Charly's Tante" Wortmann den wortgewaltigen Nachweis, daß auch die große Stadt an der Elbe nicht so ganz ohne ist. Immerhin: Im Laufe eines Nachmittags und einer Nacht wird ein Bullterrier durch finalen Rettungsschuß erlegt, büßt ein durchgedrehter Postbote sein allerwertestes Teil ein, verteilt ein Kleinganove sein Hirn über einen Transvestiten, wird ein kriminell energiereicher Junge vom Taxi mitgenommen, kann ein Punk gerade noch vom brennenden Haus springen, fackelt einer Nutte das Haupthaar weg, entzweit sich ein Ehepaar und was es sonst noch so an kleinen und großen menschlichen Tragödien gehen kann. Wie Dreesen verbindet auch Wortmann viele einzelne Geschichten zu einem Großstadtpuzzle, verzahnt die Episoden und die Protagonisten, macht die Meilen des Kiez zum Mikrokosmos, in dem sich sämtliche Schattierungen des Daseins spiegeln. Wie immer auch in diesen Fällen wirkt die Konstruktion zugleich elegant und künstlich, zeigen sich Vor- und Nachteile, weil natürlich klar ist, daß das Leben eher nicht so abläuft, daß jeder mit jedem irgendwie zusammenhängt. Aber es gibt dem Regisseur wenigstens die Möglichkeit, innerhalb eines begrenzten Rahmens möglichst viel an Freud und Leid unterzubringen, ohne das Ganze in ein unkonsumierbares, weil viel zu ausuferndes Epos ausarten lassen zu müssen. Auch hier werden die gesellschaftlichen Klassen absichtsvoll vermischt, ist alles vertreten vom abgewrackten Halbgangster zum Geschäftsmann von der Elbchaussee. Im Zentrum stehen zum einen der flippige Taxifahrer, der buchstäblich von einem zum anderen gondelt, mal Schicksal spielt, mal nur die Bühne für neue Auseinandersetzungen zur Verfügung stellt, und zum anderen der sadistische Kiezboß Brilli, dessen Schergen allüberall ihr Unwesen treiben und der persönlich auch so einiges Unheil anrichtet.

 

Der Film wird jene vor den Kopf stoßen, die leichtes Entertainment erwarten, so wie es Wortmann in seinen unterirdisch schlechten vorangegangenen drei Filmen verbrochen hat. Der Ton ist durchweg eher düster und fies, die Scherze halten sich arg in Grenzen, es entsteht ein grimmiges und kaum optimistisches Porträt einer großen Stadt, manchmal ein wenig überzogen, nicht immer glaubhaft, aber durchaus von einiger dramatischer Kraft und packendem Tempo. Rasant wie die Schauplätze wechseln die Stimmungen, es gibt glücklicherweise immer ein wenig Atempause zwischen einigen sehr bedrückenden Momenten, nicht mal nur den physisch brutalen, sondern auch denen, wo von Erniedrigung und Macht zu Rede ist. Obendrein glückt es Wortmann vortrefflich, mittels aufgebrochener Chronologie Zusammenhänge zu beleuchten, im Nachhinein Erklärungen für zunächst Rätselhaftes zu liefern und somit auch formal ein angemessen komplexes Muster anzulegen. Wie gesagt, nicht alles ist gleich überzeugend, aber wenn ich bedenke, daß ich von Wortmann eigentlich schon lange nichts Gutes mehr wartet hatte, war ich diesmal tatsächlich angenehm überrascht und finde, daß er wenigstens mal einen sperrigen und unangepaßten Film gemacht hat. (2.9.)