"Divorcing Jack" (Starkey) von David Caffrey. England/Frankreich, 1998. David Thewlis, Robert Lindsay, Rachel Griffiths
Es gibt mittlerweile ganz schön viele Filme über Irland. Es gibt traurige Filme, zornige Filme, harte Filme, schroffe Filme, düstere Filme, verzweifelte Filme, engagierte Filme, aufgeblasene Filme, kommerzielle und unkommerzielle, betroffene und betroffen machende Filme. Aber zynische Filme hatten wir bis jetzt eigentlich nicht. Bis jetzt.
Starkey lebt in Belfast und schreibt böse und umstrittene Kolumnen für eine Tageszeitung. Er trinkt gern, guckt auch schon mal anderen Frauen als der angetrauten hinterher und führt kurz ein schön lockeres und von nicht allzuviel Verantwortung geprägtes Leben. Eine rasche Affäre mit einer hübschen Studentin bringt dann einen Alptraum ins Rollen, der ihn tief in den gerade kurz vor dem Abschluß stehenden Wahlkampf und in sämtliche politische Schlamassel zieht, in die man so geraten kann. Er selbst faßt seine Situation treffend zusammen: Die IRA ist hinter ihm her, die UVF, die Polizei, die britische Armee, seine Frau ist in der Gewalt der IRA und schläft auch noch mit einem der Kidnapper und er selbst schwebt stets und ständig in höchster Lebensgefahr. Die grotesken Ereignisse überschlagen sich ständig, Leichen pflastern den Weg der Kontrahenten. Es geht um den aussichtsreichsten Premierministerkandidaten, der aus seiner Zeit als IRA-Mann reichlich Dreck am Stecken hat, nun aber den Saubermann spielt. Ein entlarvendes Tonband taucht auf, um das alsbald ein wüstes Gerangel losgeht, Starkey wohlgemerkt immer mittendrin. Der regionale IRA-Chef will das Band, um mit seinem alten Kumpel abzurechnen, und die ebenfalls nicht zimperlichen Schergen des Politikers wollen das Band aus einsichtigen Gründen ebenfalls. Am Schluß steht Starkey zwischen den Fronten und hält eine Rede für Menschlichkeit und gegen Gewalt. Kurz danach explodieren zwei Autos - die alten Freunde haben sich gegenseitig mitsamt ihrer Hofschranzen in die Luft gesprengt.
Regisseur und Autor haben nach dreißig Jahren Krieg, religiöser Diskriminierung, Haß, Unversöhnlichkeit, abgründiger Dummheit und Ignoranz Bilanz gezogen und festgestellt, daß man dem ganzen irischen Wahnwitz nur mit einem noch wahnwitzigeren Film begegnen kann. Obwohl - so übertrieben ist er gar nicht, die triste Realität schimmert überall klar und deutlich durch, die gesamten Strukturen von Provokation, Gewalt und Gegengewalt sind kein bißchen schlimmer als in Wirklichkeit. Natürlich ist dies hier ein Stück rabenschwärzester, finsterster Satire mit makabren Momenten zuhauf, mit gemeinster Brutalität, die so jäh und plötzlich über uns hereinbricht, daß uns das Lachen auf den Lippen ersterben will. Daß man dennoch fast zwei Stunden lang ununterbrochen kichert, liegt an dem umwerfenden Humor und dem konsequent durchgezogenen Wahnsinn, der die Szenerie beherrscht und sich wie eine Endlosschraube tiefer und tiefer in die Realität hineinbohrt. David Thewlis ist perfekt als Starkey, als irische und leicht gemilderte Ausgabe vom Johnny aus "Naked", ähnlich dreist und mies, ohne aber gewisse sympathische Züge zu verlieren. Um ihn herum gruppieren sich Charaktere, die geschickterweise nie zur Karikatur verzerrt sind, mit Ausnahme vielleicht von Rachel Griffiths' strippender und kämpfender Nonne, die der fabelhaften Schauspielerin wenig Raum zur Entfaltung gibt, aber sonst ist alles schön dem irischen Politalltag abgeschaut - machtgierig, brutal, rücksichtslos, dumm, verlogen und inhuman. Und selbst als Starkey am Schluß sein Plädoyer gegen Zahlen und für Menschen vom Stapel läßt, wird der Film nicht kitschig, sondern es folgen zwei Explosionen, ganz wie im richtigen Leben. Das alles mag zartbesaitete Harfenisten empören, mag folkloresüchtige Irlandfans vor den guinnessbenebelten Kopf stoßen oder aufrechte Politkämpen irritieren. Mein Lieblingsfilm zum Thema ist er vielleicht auch nicht, aber auf jeden Fall glänzend gestaltete Unterhaltung mit mehr Tiefgang, als einem lieb sein kann und ein legitimer und völlig verständlicher Weg, auf dreißig Jahre Irrsinn mit Fortsetzung folgt zu reagieren, denn was sich momentan da drüben abspielt, wird nur noch ein neues Kapitel vom alten Trauerspiel sein. (25.7.)