"Dancing at Lughnasa" (Tanz in die Freiheit) von Pat O'Connmor. Irland/England/USA, 1998. Meryl Streep, Kathy Burke, Catherine McCormick, Michael Gambon, Rhys Ifans, Sophie Thompson, Brid Brennan
Wen im Teutschland dieser Zeit interessiert zum Teufel, was 1936 in irgendeinem Kaff im tiefsten irischen Westen, in Donegal nämlich, los war? Niemanden natürlich, außer vielleicht einige wenige, die sich mit irischer Geschichte auskennen und kapiert haben, daß in manchen Dingen 1936 ebensogut 1999 sein könnte. Wen diese Erkenntnis beeindruckt, der wird sich den Film nach Brian Friels Theaterstück anschauen, alle anderen bleiben weg. Resultat? Wir waren zu zweit im Kino, na klar. Und auch der deutsche Verleih kann scheinbar wenig anfangen mit dem Film, denn sonst hätte er ihm vielleicht einen weniger absurden Titel gegeben, denn obgleich hier und da durchaus getanzt wird, mit irgendeiner Form von neu gewonnener Freiheit hat das Ganze herzlich wenig zu tun.
Dumm eigentlich, denn dies ist ein wirklich guter Film, eine überaus geschickt und souverän erzählte Geschichte einer Familie, bestehend aus fünf Schwestern und einem kleinen Jungen, die plötzlich Besuch von zwei Männern bekommen: Von Jack, dem einzigen Bruder, der aus Afrika heimkehrt, wo er jahrzehntelang als Priester tätig war, und von einem walisischen Querkopf, dem Vater des kleinen Jungen, der auf dem Sprung nach Spanien in den Bürgerkrieg ist, und ein kurzes Intermezzo im abgelegenen Bauernhaus gibt. Aber es verändert sich sehr viel, und nicht mal in erster Linie durch die Männer: Kathy, der Kopf der Familie, verliert ihre Stellung als Lehrerin und purzelt so ein Stück vom hohen moralischen Roß der strengen Übermutter herab. Zwei andere Schwestern verlieren ihre Stellung als Näherinnen, weil nahebei eine Fabrik eröffnet wird. Sie verlassen das Haus eines Nachts und enden als Obdachlose auf den Straßen von London. Das Unfaßbare ist geschehen, der Familienzusammenhalt ist jäh gesprengt worden, die jahrzehntelang festgewachsene Struktur, eine Mischung aus Zuneigung, Solidarität, erbitterten Kämpfchen und dem Sichzusammenraufen in der Not, hat aufgehört zu wirken. Etwas anderes ist stärker gewesen, etwas, das plötzlich von außen gewirkt hat, wie eine Säure das kleine hermetische Etwas zerfressen hat. So ist es Irland und den Iren immer gegangen, so geht es in manchen Landesteilen auch heute noch, und wer das weiß, der sieht in dieser Geschichte die Zeitlosigkeit ohne Mühe. Eine im innersten Kern bitter traurige Geschichte, so bitter traurig, wie die gesamte irische Historie eben, die aber bei Friel sehr oft, und auch in diesem Film, so vital und zupackend erzählt wird, daß von Selbstmitleid keine Spur bleibt. Hilfreich ist dabei, daß Frank McGuinness, der das Theaterstück für den Film bearbeitete, selbst ein in Irland sehr anerkannter Dramatiker ist. Pat O'Connor zeigt sich zudem als überaus gefühlvoller Regisseur, der sorgfältig und tiefgehend darstellt, wie das gewohnte Leben der fünf Schwestern langsam aber sicher aus der Umlaufbahn gerissen wird und wie ein Aufbegehren höchstens auf kleinster Ebene stattfindet und auch dort meistens nicht gehört wird von der beherrschenden, doktrinären Kathy. Kitsch und Pathos fehlen dabei ebenso wie der fatale Hang, Stage Irishmen zu präsentieren, und allein Meryl Streeps entbehrliche Gegenwart verrät eine Konzession an ein vermeintlich breiteres Publikum, denn natürlich hätte ihr Part von jeder anderen irischen Schauspielerin übernommen werden können. Sie drängt sich glücklicherweise nicht unnötig in den Vordergrund, aber man fragt sich dennoch zwischendurch mal, weshalb sie überhaupt dabei ist. Na was solls, auf alle Fälle ist dies ein stilistisch sehr gekonnter und auch sehr schöner Film mit ganz wunderbaren Bildern (aus Wicklow mal wieder, und wir Idioten sollen es als Donegal fressen), die in mir mal wieder jene schmerzhafte Sehnsucht nach Irland wachriefen, die mich immer dann befällt, wenn's auf der Leinwand nicht gar zu platt zugeht und man nicht nur mit ein paar pittoresken Tableaus geködert werden soll. (15.2.)