„Abschied – Brechts letzter Sommer“ von Jan Schütte. BRD, 2000. Josef Bierbichler, Monika Bleibtreu, Jeannette Hain, Elfriede Irrall, Margit Rogall, Samuel Fintzi, Rena Zednikowa, Birgitt Minichmayr
Ein Tag in Brechts letztem Sommer am See von Buckow in der Märkischen Schweiz, gut fünfzig Kilometer östlich von Berlin. Es ist 1956, drei Tage später wird der Dichter tot sein. Am diesem Tag steht seine abendliche Abreise gen Berlin zu proben mit dem Berliner Ensemble bevor. Man arbeitet mit ein paar Theaterleuten an ein paar Szenen, Brecht schreibt ein paar kleine Verslein, denkt über Änderungen im „Kaukasischen Kreidekreis“ nach, und um ihn herum passiert, was wohl schon seit ewigen Jahren passiert: All die Frauen und Ex-Frauen an seiner Seite begleiten ihn, hegen und pflegen ihn, bekochen und bemuttern ihn, streiten und zanken und bewachen einander eifersüchtig. Während Helene Weigel sich bemüht, den Ton anzugeben und Ordnung zu halten, streicht die jungem verführerische Schauspielerin dem alten Knaben um den Bart, badet nackt im See, macht Brechts ehemalige Geliebte Ruth Berlau hysterische, suizidale, volltrunkene Szenen, spielt die langjährige Assistentin Elisabeth das unbeachtete Mauerblümchen, verbrennt die Tochter Barbara Papas Lieblingskappe undsoweiter. Aber es trägt sich auch ein politisches und menschliches Drama zu: Brecht beherbergt auf dem Grundstück ein befreundetes Paar – Wolfgang Harich und seine Frau -, und als die Stasi anrückt, um den unbequemen Querdenker aus dem Verkehr zu ziehen, macht die Weigel rasch einen Deal, um ihren herzkranken Bertolt zu schonen: Wenn die Stasi den Herrn Dichter außen vor läßt und sich diskret verhält, wird sie, die Weigel, den Harich nicht warnen, sondern ihn praktisch in die Fänge der Stasi laufen lassen. Und so geschieht es: Auf offener Straße reißen die Männer das Ehepaar von den Motorrädern, während Brecht offensichtlich ahnungslos weiter vorn im Auto sitzt und nach Berlin fährt, wo er drei Tage später sterben wird.
Ein Film randvoll mit trügerischer, melancholischer, fast phlegmatischer Ruhe, die die Geduld zahlreicher Besucher überforderte, die aber für mich eine besondere Qualität ist: Zum einen finden wir wunderschöne Bilder, die einen warmen, grünen, hellen Sommer am See zwischen Sand und Birken sinnlich erfühlbar werden lassen, unterstützt von John Cales traurigen, sparsamen Klavierakkorden und einer insgesamt sehr dichten, intensiven, traumhaften Atmosphäre. Zum anderen wird diese Ruhe doch ausgefüllt von einigen exquisiten Gruppen- und Charakterporträts: Brecht, der alternde, kränkelnde, mal wehleidige, mal grummelnde, mal schmeichelnde, mal grübelnde, mal gebieterische, mal verschämte, mal dreist voyeuristische, immer aber zutiefst egozentrische Macho, der seinen Harem versammelt hat und die Damen mit Zuckerbrot und Peitsche bei der Stange hält. Jeden Morgen mißt er Fieber, beklagt den Verlust seiner Jugend und die anstrengenden Weiber, schaut sich aber gern junges, nacktes Fleisch an und duldet natürlich auf keinen Fall einen gleichwertigen Geist neben sich, ohne ihn (oder sie) nicht sogleich in die Schranken weisen zu wollen. Die Weigel, die sich dominant, energisch und selbstbewußt geben will, aber stets ansehen muß, wie Brecht den beiden jungen Frauen nachsteigt, wissend, daß er auch mit ihnen schläft. Die Berlau, die sich gehen läßt, die um ihre gemeinsame Vergangenheit kämpft, die nicht schweigend wie die anderen hinnehmen will, was Brecht dort mit ihnen anstellt, aber auch nicht stark genug ist, um sich von dem Kerl endgültig zu lösen. Harich, der selbstbewußt seine Meinung vertritt, Brecht besonders auf politischer Ebene herausfordert und ihn bezichtigt, schlapp, feige und passiv geworden zu sein, der Brecht aber auch privat die Stirn bietet und es hinnimmt, daß der Alte mit seiner Frau schläft, sogar noch weiter geht und die offene Konfrontation sucht, wobei er Brechts Aus- und Zurückweichen genießt. Um diese eng verzahnte und scheinbar ausweglos verklumpte Gruppe scharen sich Schergen der DDR, und hier wird der Film auch auf zeitgeschichtlicher und politischer Ebene sehr interessant: Der Stasi-Mann kennt natürlich Brecht und Weigel, läßt aber jeglichen Respekt vor den großen Namen fallen und weiß ganz genau, daß die Weigel mit ihrem verräterischen Geschäft viel von jenen Idealen drangibt, die Brecht gern in seinen klassischen Meisterstücken verfochten hat. Er tritt den Künstlern zynisch gegenüber, läßt Verachtung und Herablassung durchblicken – es ist klar, daß Brecht einen großen Namen hat, aus propagandistischen Erwägungen durchaus geduldet ist, sonst aber keinerlei Vorzugsbehandlung zu erwarten hat. Die Jungpioniere, die sich in großer Schar auf seiner Treppe aufbauen um ihm ein Ständchen darzubringen, zeugen hingegen von ideologischer Verehrung und entlocken dem alten Herrn eine milde geschmeichelte Geste. Inwieweit er von den Vorgängen um Harich nun etwas mitbekommt oder nicht, ist letztlich nicht ganz ersichtlich, es scheint aber eher nicht der Fall. Sicher ist aber, daß sich der einst so engagierte, kämpferische Streiter aus der Tagespolitik zurückgezogen hat, rückwärts- bzw. einwärtsorientiert lebt und Ulbricht und seinen Mitgenossen eher gleichgültig und unentschlossen gegenübersteht, wo Harich deutlich für die Absetzung der Regierung plädiert. Auf jeden Fall kein sehr schmeichelhaftes Porträt des Dichters als alter Mann – der lebt nur noch von seiner einstigen Größe und schlägt sich mit Alter, Krankheit und den Eifersüchten seiner Frauen herum, die er mit beachtlicher Selbstverständlichkeit nach seinem Gutdünken benutzt.
Schütte ist ein eindrucksvoll gefilmter und gespielter Film gelungen, psychologisch markant polarisiert, aber dennoch dicht und glaubwürdig, ästhetisch außerordentlich schön und letztlich, was ja auch ein wichtiger Punkt sein soll, thematisch einfach interessant. Die meditative Langsamkeit der Erzählung, die manchen nerven mag, ist für mich zudem sehr attraktiv, denn man glaubt teilweise wirklich, diesen Birkensommer im Märkischen einatmen zu können. (1.11.)