"Boys don't cry" (#) von Kimberly Peirce. USA, 1999. Hilary Swank, Chloe Sevigny, Peter Sarsgaard

Als Teena Brandon 1993 in Falls City, Nebraska, stirbt, ist sie gerade 21 Jahre alt. Sie wird vergewaltigt, zusammengeschlagen und schließlich erschossen von zwei jungen Männern, die nicht verkraften konnten, daß Teena als Junge auftrat, sich Brandon nannte, wochenlang alle Leute täuschen und sogar eine Liebesaffäre mit Lana, der Schwester von einem der beiden Mörder anfangen konnte. Der Film schildert ausführlich die letzten Tage vor ihrem Tod: Die Flucht aus Lincoln, wo ihr ihre Masche ebenfalls reichlich Ärger einbrachte und wo sie obendrein wegen schweren Autodiebstahls vor Gericht gehen sollte. Ihr Leben in Falls City, des finstersten aller finsteren Provinzkaffs, wo die Beschäftigung der Männer im Saufen, Trucksurfen und Frauenprügeln und die der Frauen im Saufen, Trucksurfen und Sichverprügelnlassen besteht. Brandon, alles andere als ein kerniger Macho, sondern ganz im Gegenteil zärtlich, gefühlvoll, charmant, gerät also in diese ländlich-ursprüngliche Gesellschaft und laviert sich solange mit Lügen und Täuschungen durch, bis das Geheimnis doch entdeckt wird und die dumpfe Dorfjugend eben kein anderes Mittel als brutalste Gewalt zur Verfügung hat, um damit fertig zu werden. Es geht hier nicht mal ausschließlich um Teenas Schicksal, sondern gleichzeitig und zu gleichen Teilen um ein Sozialporträt dieser Kleinstadt und ihrer Einwohner, was dank der enorm eindringlichen, konzentrierten und detaillierten Darstellung auch vorzüglich gelungen ist. Teena selbst bleibt uns trotz der grandiosen und vollkommen zu Recht mit dem Oscar belohnten Darstellung Hilary Swanks bis zum Schluß eher fremd. Wir als Zuschauer erfahren eigentlich nicht mehr über sie, als ihre verwirrten Mitmenschen, folgen ihr durch ihre merkwürdigen, halsbrecherischen und zunehmend selbstmörderischen Manöver, doch wirklich verstehen können auch wir sie nicht. Ist sie ein Mädchen, das sich als Junge fühlt? Ist sie eine Lesbe, die ihre Verkleidung nur ausnutzt, um den geliebten Mädchen nahezukommen? Ist sie ein Adrenalinjunkie, die die Gefahr liebt und stets den riskantesten Weg nimmt? Oder ist sie nur ein hilfloser, einsamer Sozialfall, ohne Eltern aufgewachsen und von vornherein auf der schiefen Bahn, ohne Freunde, ohne echten Rückhalt, innerlich zerrissen, haltlos und ein bißchen lebensmüde? All diese Erklärungen könnten zutreffen, oder alle auf einmal, nur genau wissen wir es nicht, weil uns kaum ein Einblick in Teenas Innenleben gewährt wird. Und als sie sich letztlich Lana öffnet und einiges von sich preisgibt, sind wir längst zu mißtrauisch, um blindlings zu glauben, was sie erzählt. Gerade diese letzten verzweifelten, und für uns im übrigen dramatisch spannenden und beängstigenden Momente, zeigen Brandon nur noch als Opfer der Rachsucht und Brutalität und als einen Menschen, der sich selbst nicht mehr helfen kann und jedes Gefühl für die Situation und vor allem für drohende Gefahr verloren hat. Meisterhaft versteht es der Film, die Spannung beständig zu erhöhen, die Atmosphäre zu verdichten, ohne jemals grobe oder unpassende Mittel dafür aufwenden zu müssen. Bis zuletzt bleibt der Ton gänzlich unpathetisch, nicht gefühllos wohlgemerkt, aber ohne falsche Märtyrergesten oder sonstige Stilisierungen. Es könnte um das Thema Frau in der Männergesellschaft gehen, oder um männliche Gewalt, oder um eine Frau auf der Suche nach der sexuellen Identität, oder einfach auf der Suche nach Liebe und Zugehörigkeit, oder um das Thema Kleinstadt und ihre Moral, um nichts davon oder alles auf einmal. Die Komplexität der Geschichte indes wird niemals aufdringlich zur Schau gestellt oder sonstwie in den Vordergrund gespielt, vielmehr greift ein Thema bruchlos in das andere und fügt sich zu einem homogenen, eindrucksvollen und faszinierend intensiv gespielten Ganzen. Ein fabelhafter Film, der einem zum Schluß gehörig auf den Magen schlägt und sich in jeder Weise himmelweit vom Hollywooddurchschnitt abhebt. (11.4.)