"Bringing out the Dead" (#) von Martin Scorsese. USA, 1999. Nicholas Cage, Patricia Arquette, John Goodman, Ving Rhames, Tom Sizemore

Martin Scorsese und Francis Ford Coppola haben einiges gemeinsam: Beide gehörten in den frühen Siebzigern zu den großen Hoffnungen des neuen amerikanischen Kinos und beide drehten auch in den Siebzigern ihre letzten Meisterwerke, an die sie in den folgenden zwanzig, fünfundzwanzig Jahren nicht mehr anknüpfen konnten. Bei Coppola ist der Verfall nach zwei ganz leidlichen Teeniefilmen zweifellos eklatanter, aber auch Scorseses Filme nach "Taxi Driver" sind bestenfalls ein gemischtes Vergnügen: Ein Boxerfilm für alle, die Boxen mögen, ein Jesusfilm für alle, die plakative Bibelauslegungen mögen, ein Literaturfilm für alle, die opulente, überladene Bilder mögen, und immer wieder Mafiafilme für alle, naja undsoweiter.

Und jetzt mal wieder so richtig New York: Die Drums scheppern, die Harmonika quietscht, Van the Man knödelt was von TBC und miefigen Bettlaken in stickigen Räumen und auf gehts, ab geht die wilde Fahrt mit den Ambulanzfahrern, die jede Nacht ausrücken, um die letzten Reste von New Yorks Abschaum vorm Krepieren zu retten, oder auch nicht. Einer dieser Fahrer ist Frank, einsam, übernächtigt, desillusioniert und kaputt. Die Geister all derer, die er nicht retten konnte, verfolgen ihn, besonders der Geist einer ganz jungen Frau, deren Gesicht ihn immer wieder aus allen Gesichtern anstarrt und ihn zu fragen scheint, warum sie sterben mußte. Frank ist längst mit sich um diesem Job fertig, und dennoch erledigt er ihn jede Nacht, lernt dabei ein Mädchen kennen und versucht, es vorm Absturz zu retten, wohl wissend, daß auch sein Leben davon abhängt: Schafft er's, kommt auch er durch, schafft er's nicht, wird auch er unweigerlich abstürzen.

Scorsese macht sich daran, uns armen Nichteingeweihten New York als ultimative Vorhölle zu präsentieren und er gibt uns die volle Breitseite: Drogen, Gewalt, Armut, Elend, Prostitution, Obdachlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, einfach, alles man sich gemeinhin unter dem Leben im Moloch Big Apple vorstellt, wenn man gemerkt hat, daß das New York bei Woody Allen vielleicht doch nicht das ganze New York ist. Scorsese stürzt sich und uns mitten rein in die Brennpunkte und läßt Frank Nacht für Nacht eine Alptraumodyssee durch alle Schattenbereiche dieser Stadt unternehmen. Dabei läßt er kein einziges Klischee aus und verwechselt immer wieder lautes Wüten mit wirklicher sozialer Aussage. Optisch und akustisch geht er sowieso in die Vollen, aber das wußte man ja vorher schon: Die Kamera wirbelt durch die Gegend, schlägt Purzelbäume, entfesselt psychedelische Räusche, während zur Begleitung ein sympathischer, aber völlig beliebiger Popsoundtrack abnudelt, eine Mischung aus 60er-Jahre-Soul und gesammeltem Rock der Neunziger, die Scorsese zwar als geschmackvollen Musikkenner outet, aber fast gar keinen Bezug zur Handlung oder den Bildern hat. Immerhin läßt sich das natürlich gut auf CD verramschen. Hier und da findet sich dann mal ein Moment der Stille, der Intensität, der vielleicht erahnen läßt, welche Qualitäten der Film hätte haben können, wäre er nur nicht so fürchterlich uneinheitlich und überdreht angelegt. Natürlich ist dies das Porträt einer Stadt und ihrer Verlierer, ihrer Außenseiter, ihrer Randexistenzen, die verzweifelt darum kämpfen, nicht über die Klippe zu fallen. Doch weshalb bedient sich Scorsese dann so häufig abstruser, grotesker Übertreibungen, die nahelegen, er habe lediglich eine schwarze Komödie drehen wollen? Weshalb all diese Extreme, all die Exzentriker, all die stereotypen Clubgänger, Fixer, Säufer? Weshalb ein Nicholas Cage, der in Trance mit hängender Unterlippe wie ein Zombie durch den Film stolpert und alles abliefert, nur keine schauspielerische Leistung?

 

Immerhin hat mich dieser im ganzen recht unbefriedigende Film von einer Tatsache überzeugt: Scorsese sollte ein für allemal bei der Mafia bleiben, ob mich persönlich diese Filme nun noch interessieren oder nicht. Aber "Good Fellas" oder "Casino" waren wenigstens stilistisch und dramaturgisch ausgewogen, schlüssig, überzeugend, während dieses Werk hier nichts von alledem ist, so interessant ich das Thema auch gern gefunden hätte. (9.5.)