"Crazy" von Hans-Christian Schmid. BRD, 2000. Robert Stadlober, Tom Schilling, Oona Devi Liebich, Julia Hummer, Dagmar Manzel, Burghart Klaußner

Benjamin wird von seinen Eltern auf ein Schloßinternat im tiefsten Bayern geschickt, um seine chronische Matheschwäche zu überwinden und doch noch einen Abiabschluß zu schaffen. Beides geht schief und nach einem Jahr wird Benjamin die Schule wieder verlassen, aber in diesem einen Jahr erlebt er sehr viele sehr wichtige Dinge.

 

Daraus wurde zuerst ein offenbar erfolgreicher Roman und nun ein hoffentlich ebenso erfolgreicher Film, der nicht nur viel Spaß macht, sondern auch Schmids Rang als einer der ganz wenigen wirklich hoffnungsvollen und originellen deutschen Filmemacher bestätigt. Rein äußerlich könnte man auch von einer klischeehaften Zitatensammlung aus gängigen Internatsgeschichten sprechen, denn was sich hier tut, vom heimlichen Rauchen, vom Schäkern mit den Mädels, von Scherzen mit den Paukern, von nächtlichen Ausflügen in ein Rosenheimer Striplokal und derartigen Symptomen der Pubertät, das hat man in verschiedenen Formen schon häufiger gelesen oder auch gesehen. Es geht um Jungenfreundschaft, um Außenseiter und ihren Kampf um einen Stammplatz in der Gruppe, um Aufnahmerituale, um Solidarität und natürlich um die Mädchen und wie man ihnen am geschicktesten zu Leibe rücken könnte. Die engelhafte Malen schwebt als umwölkte Vision in den Köpfen der Jungs herum, mal als handfeste sexuelle Fantasie, mal als ätherisch verklärtes Feenwesen. Benjamin freundet sich mit Janosch an, einem etwas schwierigen, eher praktisch veranlagten Typen, und während Benjamin das Mädchen staunend aus der Ferne anhimmelt, erklärt ihr Janosch ganz direkt, daß er sie gerne mal nageln würde. Logischerweise hat keiner der beiden Jungs eine Chance, weil Mädchen in dem Alter reifere Typen suchen und keine kleinen Kinder, die Wettwichsen auf Schokokekse veranstalten, und in der Gegenwart weiblicher Wesen nur noch zu blödsinnigen Sprüchen und platten Albernheiten fähig sind. Auch dies ist uns längs bekannt, zumal aus eigener Erfahrung, aber gerade deswegen ist es auch so schön, man sitzt nämlich da und erkennt sich spielend wieder, erinnert sich, gelegentlich mit leicht nostalgischer Note, und hat vor allem sehr viel Spaß. Schmid zeigt wieder einmal viel Gefühl für seine Personen, nicht nur indem er die Darsteller zu tollen Leistungen anspornt, sondern auch, indem er ihnen Freiheit, Eigenständigkeit und Stolz läßt, keine dummen Witze auf ihre Kosten reißt und schon gar nicht versucht, die ach so holde Jugend irgendwie zu verklären oder zu verniedlichen. Etwas so Elementares wie Freundschaft, ihre Proben, ihre Stärken, ihre Werte, verdient es einfach, ernst genommen zu werden, was ja nicht heißt, daß es nicht auch lustig zugehen kann. Schmid findet eine Mischung aus komischen und ruhigen, intensiven Szenen, er ist nicht auf den Knalleffekt aus, die letzte Pointe, sondern läßt die Erzählung auch einfach mal treiben, weil ja auch das wirkliche Leben manchmal so vor sich hintreibt. Damit entgeht er vor allem ganz sicher der Gefahr, einen jener dümmlichen, flachen Teeniefilme zu machen, die uns zumeist verkauft werden sollen, und die für all diese Dinge weder Zeit noch die nötige Sensibilität aufbringen. So gibt's am Schluß auch kein weiches Happy End: Benjamin muß wieder gehen, die Freunde werden sich für immer trennen, das Geschehene wird nur eine kurze, dafür aber prägende Episode im Leben der Jungs bleiben, und wie lange man sich noch an einander erinnern wird, kann niemand sagen. Dieses Ende fängt sehr schön die zwiespältigen Gefühle einer solchen Situation ein: Den bitteren, tiefen Schmerz der Trennung, das Wissen um die Unabänderlichkeit und die vage Hoffnung auf einen Neuanfang, der immer wieder kommen muß. Ein Film also ohne billige Auswege, ohne leichte Lösungen, ohne pädagogische Sprüche, kurz: Ein sehr schöner Film. (29.6.)