„Der Krieger und die Kaiserin“ von Tom Tykwer. BRD, 2000. Franka Potente, Benno Fürmann, Joachim Król, Lars Rudolph, Nadja Brunckhorst, Jürgen Tarrach
Was für ein Gegensatz zu dem vorherigen Film und zugleich was für ein Beispiel für die mögliche Vielfalt des deutschen Films. Wo Jan Schütte auf maximale Reduktion und Langsamkeit setzt, entfesselt Tom Tykwer eine filmische Achterbahnfahrt, die uns kaum aus dem Staunen herauskommen läßt, sich einer zweistündigen Wundertüte ähnlich öffnet und immer neue Attraktionen und Überraschungen bereithält.
Der Weg vom Anfang zum Ende ist weit und zugleich kreisförmig: Die Bretagne – Wuppertal – die Bretagne. Aus der Bretagne wird ein Brief nach Wuppertal geschickt und von dort reisen am Schluß zwei Leute an die wilde Küste. Diese zwei heißen Sissy und Bodo, und bis sie zueinander gefunden haben, werden sie und wir Zuschauer kräftig durchgeschüttelt. Zwischen Liebesromanze, Krimi, Schicksalsfilm und Psychiatriedrama pendeln sich Sissy die Pflegerin und Bodo der Ex-Soldat auf einen gemeinsamen Weg ein, aber erst, nachdem sich beide von den Gespenstern der Vergangenheit gelöst haben. Sissy fristet ein eintöniges Dasein in jener Anstalt, in der ihr eigener Vater einsitzt und in der ihr Mutter einst durch einen Unfall ihr Leben verlor. Ihr Leben bekommt den entscheidenden Schub, als sie selbst fast unter einem Lastwagen stirbt, dann aber wie durch ein Wunder gerettet wird. Ihr Retter ist Bodo, der in einem Gefühlsvakuum lebt, seit seien Frau an einer Tankstelle in die Luft flog und er sich bei seinem Bruder Walter einnistete. Walter arbeitet bei einer Bank, und die beiden klügeln den ganz großen Coup aus. Als Sissy endlich Bodos Fährte aufnimmt und ihn verzweifelt verfolgt, weil sie davon überzeugt ist, daß sie für einander bestimmt sind, nehmen die Dinge ihren Verlauf, und es wird abwechselnd dramatisch, gewalttätig, traurig und schön. Die ganze Geschichte nachzuerzählen ist sowenig möglich wie erstrebenswert, denn gerade das macht sie aus, daß sie nämlich niemals vorhersehbar, berechenbar, langweilig wird. Tykwer erzeugt von Anfang an einen unheimlich intensiven, rhythmischen, starken Erzählsog zwischen magischen und realistischen Momenten, ohne generell die leicht unwirkliche, schwebende Atmosphäre zu verlieren, die die Personen und Handlungsorte umgibt. Wuppertal mag an sich nicht so furchtbar romantisch sein, aber so faszinierend ist die Stadt wohl auch noch nie ins Bild gebracht worden. Die Gesichter der Menschen, ihre Begegnungen und Gespräche, prägen sich so stark ein, daß man ständig angespannt, hochkonzentriert bei der Sache ist. Natürlich kann man Tykwer leicht vorwerfen, daß er zuviel in den Film gepackt, ihn mit Symbolik, Motiven, Gedanken und Nebenhandlungen schier überfrachtet hat und den Zuschauer damit überfordert. Andererseits aber setzt er seien Regiekunst so bestechend ein, daß diese Überforderung eben nicht stattfindet, daß man vielmehr jede Einzelheit, jede Abschweifung, jede neue Verwicklung in sich aufsaugt und dem Geschehen bis zum Ende gebannt und fasziniert folgt. Ich jedenfalls. Zwar hat Franka Potente für meinen Geschmack schon flexibler und präsenter gespielt, andererseits aber paßt ihre leicht somnambule Ausstrahlung perfekt zu ihrer Rolle, genau wie auch die anderen Schauspieler perfekt sind.
Alles in allem ein großartiger Film, den man in dieser Art nur selten sieht: Kino als Abenteuer, als Entdeckungsreise, als intensivste sinnliche Erfahrung zwischen hypnotischen Bildern, großartiger Musik und einer Geschichte, die in ihrer launischen, sich ständig wandelnden Entwicklung bis zum Ende sehr spannend bleibt. Meiner Meinung nach Tykwers bislang eindrucksvollster und mutigster Film. (3.11.)