"Angela's Ashes" (Die Asche meiner Mutter) von Alan Parker. Irland/England/USA, 1999. Emily Watson, Robert Carlyle, Joe Breen, Ciaran Owens, Michael Legge

Bei solchen Filmen muß man sich eigentlich im Voraus entscheiden. Entweder oder. Entweder der Film oder das Buch, beides geht nicht, oder nur mit argen Verlusten auf der Filmseite. Denn so sehr man natürlich bemüht ist, den Film als solchen zu genießen, so wenig ist es möglich, den Vergleich zu dem Roman auszublenden, zumal wenn es sich um einen solch großartigen Roman handelt, der sich mit seiner Sprache und seinen ungezählten wunderbaren Szenen unauslöschlich ins Lesegedächtnis eingeprägt hat. Wenn ich also den Film als solchen betrachten könnte, würde ich ihn sicherlich als eine sehr schön gestaltete Tragikomödie über Armut in Irland und die Sehnsucht nach dem fernen Amerika verbuchen. Wenn ich ihn aber als eine Literaturverfilmung betrachte (und das habe ich getan), so muß ich ihn als einen in vieler Hinsicht enttäuschenden Film ansehen.

 

Parker hatte eigentlich von vornherein schon zur Hälfte verloren, weil er eben nur die eine Hälfte des Romans, nämlich den Inhalt übertragen konnte, nicht aber die andere, wesentlichere, das ist Frank McCourts unvergeßliche Sprache, seine Mischung aus erschütternder Komik und ebenso erschütternder Tragik. Wie in vielen Fällen versucht sich auch diesmal der Film mit immer wieder eingesprochenen Textpassagen zu behelfen, demonstriert damit aber unfreiwillig nur noch mehr seine Unzulänglichkeit: Ein Film kann einem Roman niemals völlig gerecht werden. Was bleibt sonst? Parker strafft über fünfhundert randvolle Seiten auf knapp zweieinhalb Stunden und hat damit ein zweites Mal verloren, denn unweigerlich entgehen dem Zuschauer viele viele kleine Szenen und Augenblicke, die die Fülle des Buches ausmachen, seinen Reichtum an Geschichten, Personen, Schicksalen. Natürlich läßt sich dies alles nicht auf kommerziell machbare Art und Weise verfilmen, es sei denn, man machte einen Achtstundenfilm, daraus. Stoff genug gibt der Roman allemal her. So fehlen, nur um ein Beispiel von vielen herauszugreifen, fast alle wichtigen und schönen Passagen aus den ersten New Yorker Szenen, die das Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen zeigen und bereits einen bezeichnenden Blick auf die Stellung der Iren innerhalb dieser kunterbunten Gesellschaft werfen. Satt der unerhört plastischen Schilderung menschlichen Elends in allen Variationen und Stadien erhalten wir eine wesentlich flüchtigere, auf Schlaglichter beschränkte Version (Regen in Limerick mit immer dem gleichen blöden Blick auf die Shannonbrücke, fürchterlichste Wohnverhältnisse, Schule, erste Liebe, erste Arbeit, Franks zähes Kämpfen und seine Loslösung von der Mutter und der restlichen Familie), die zwar dem Roman folgt, ihn jedoch entschieden reduziert. Viele Nebenfiguren, die im Buch einen starken Eindruck hinterlassen, verschwinden völlig oder gewinnen kein besonderes Profil, was schade ist, denn mit den Hauptpersonen hat man eh genug Probleme. Ohne Zweifel wären Emily Watson und Robert Carlyle - augenblicklich zwei meiner absoluten Lieblingsdarsteller - in fast jedem anderen Film eine Traumbesetzung, aber nicht hier. Menschen, die unter diesen Umständen gelebt und gelitten haben, die gehungert haben, gesoffen haben, reihenweise schwanger, schwer krank, depressiv und ständig schlecht ernährt waren, solche Menschen sehen nie und nimmer so aus wie diese feingliedrigen, feingesichtigen Schauspieler (für den Darsteller des älteren Frank gilt das genauso). Die beiden können sich anstrengen wie sie wollen, wirkliche Armut, wirkliches Elend in solch krassem Ausmaß nimmt man ihnen einfach nicht ab. Abgesehen davon gehen besonders diese beiden enorm wichtigen Charaktere immer wieder im unpointierten Fluß der Handlung unter und vor allem Watson hat als die Mutter kaum nennenswerte Gelegenheiten zu tiefergehender Charakterzeichnung und wird damit als Darstellerin sowieso halb verschenkt. Parkers gesamte Bildgestaltung krankt ein wenig an dieser Beschönigung, Ästhetisierung (die zumeist belanglos kitschige Musik von John Williams übrigens erst recht), genau wie sein Erzählrhythmus, der der Geschichte etwas episch Ausgreifendes gibt, was dem Buch absolut nicht zu eigen ist. McCourts vollkommen unpathetische Darstellung, seine trockene, bittere Distanz hätte dringend einen entsprechenden Stil verlangt, doch Parker traut sich nicht so richtig, bleibt konventionellen Formen verhaftet und nimmt dem Roman damit noch mehr von seiner Unverwechselbarkeit. Ganz schön viele Sünden also, die der Mann da auf sich geladen hat, zuviel für einen kleinen Film, und sowieso zuviel, um mich zufrieden zu stellen. Zwar hatte ich mich eh schon mit allerhand Vorbehalten ins Kino gesetzt, hatte aber auf der anderen Seite von einem Regisseur wie Parker doch Besseres, Originelleres, Aufregenderes erwartet, als einen Film, der letztlich nicht erahnen läßt, welch fabelhafter Roman ihm zugrunde liegt. (16.3.)